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Dark water

Rondra
12. Dezember 1462
{Deggendorf}


Deggendorf. Da geht es dem Weib wie dem Kerl, weder mit Österreich, noch mit Bayern verbindet Rondra sonderlich viel. Landschaften die durchquert werden müssen um an das eigentliche Ziel zu kommen. Landstriche, die zwar etwas nach der einstigen Heimat aussehen, aber keinerlei Bedeutung haben. Sie waren nie Heimat, haben es nichtmal geschafft irgendwelche Erinnerungen zu setzen, selbst nicht, als Rondra noch Bürgerin des Deutschen Königreiches war. Nicht ganz richtig. Sie haben Linz passiert. Linz, vor dessen Toren einst ihre Lieben angegriffen wurden, einem Ereignis dem sie schließlich zwei Lehen geopfert hat und vieles mehr. Damals.
Opfern. Wie absurd dieser Gedanke in diesem Zusammenhang ist. Hat sie doch vor kurzem etwas ganz anderes geopfert. Etwas was eigentlich gar nicht zu opfern ist. Ihre Liebe – zumindest fühlt es sich so an – und damit irgendwie sich selber.
Die letzten Tage brachten eine Verschlimmbesserung. Anders kann man es kaum nennen. Da sind Gespräche, was gut ist – aber sie sind unsicher, platt und haben absichtlich keinerlei Tiefgang. Berührungen, manchmal – die sich genauso unsicher und zaghaft anfühlen.
Es ist als würde diese Mauer immernoch zwischen ihnen stehen und er somit unerreichbar. Wahrscheinlich kann man sich leichter an einen amputierten Arm, oder ein Bein gewöhnen als daran. Ein Stück von ihr fehlt, ein großes Stück und es ist traurig, wie ihr ausgerechnet jetzt klar wird wie sehr ihr Sein von ihm durchtränkt ist.
Die Tage allein mit sich selbst auf ihrem Apfelschimmel, oder in einen Eiertanz verwickelt, dessen Schrittfolge sie kaum beherrscht und die Nächte ein einziges Grauen.
Weshalb ausgerechnet in der vorletzten Nacht das Grauen von Marburg wieder in ihr erwacht ist, sie weiß es nicht. Es war der alte Traum. Kelian im Lazarett, bleich wie der Tod selber, die panische Angst um ihn – doch mit der Neuerung, dass ihn am Ende der Tod bekommen hat. Vielleicht wäre es nicht ganz so überraschend, würden die Ereignisse, die sich in der Heimat seit ihrer Abreise mehrfach überschlagen haben müssen, bis an ihr Ohr gedrungen sein. Sind sie nicht, denn Deggendorf ist tatsächlich die erste Stadt seit Tagen, die sie erreichen.
Heute Nacht im Traum nun wieder auf diesem seltsamen Friedhof vor der Geisterstadt. Ein sehr realer Traum und auch in ihm hat sie den grauen Schatten, dem sie gefolgt ist und der ihr Mann ist, letztendlich in der Dunkelheit unwiederbringlich verloren.
Und ausgerechnet sie hat gestern Abend versprochen sich Mühe zu geben besser zu schlafen. Auf ganzer Linie versagt, eindeutig. Vielleicht sollte sie alte Gewohnheiten wieder aufnehmen. Vor einem Jahr war der Alkohol ein willkommener Freund, wenn es ums Schlafen ging.
Deggendorf also. Sie haben Pläne für den kurzen Aufenthalt. Kelian wollte Kaylis schreiben, denn bisher weiß niemand in Württemberg von ihrer Ankunft. Außerdem gilt es, sich nach einem Schlitten umzusehen. Hatte sie gehofft Württemberg vor dem ersten Schnee zu erreichen, so ist ihr diese Hoffnung gestern genommen worden. Ein Grund mehr rasch ans Ziel zu kommen. Hinunter in die Schankstube geht es, nachdem Rondra vergeblich versucht hat sich noch eine Mütze Schlaf abzuringen. Dick eingepackt, aber immerhin nicht so dick, wie wenn es wieder aufs Pferd gehen würde. Die suchenden Blauaugen finden ihr Ziel und schließlich tritt sie hinter den Schreibenden. Wieder dieses Zögern das, wenn man es einmal selber bemerkt, übermächtig wird und einen hilflos werden lässt. Er hat sie geküsst. Gestern Abend. Nichts was die Welt verändern würde, aber immerhin als sie allein waren – also auch nichts was dazu gedacht ist irgendjemandem vorzuspielen dass bei ihnen alles im Lot ist. Trotzdem schafft sie es selber nun nicht, einfach ihre Lippen auf den braunen Schopf vor sich zu drücken, um sich bemerkbar zu machen. All dieses leichte Grau dazwischen. Richtig sichtbar wird dieser Ansatz erst, wenn man genau hinsieht. Genauso wie er häufiger Lachen sollte, sollte er weniger schnell grau werden. Sicherlich auch etwas woran sie die Schuld trägt, denn einfach war sein Leben in den letzten zwei Jahren definitiv nicht.
Also gut. Ihre rechte Hand legt sich auf seine Schulter, sanft und vorsichtig, fast warnend dass jemand hinter ihm steht. Wer weiß, vielleicht ist er sich dessen längst bewusst. Früher einmal schien sich die gesamte Aura eines Raumes zu verändern, sobald der andere ihn betreten hat. Früher. Selbst in ihrem Kopf klingt es entsetzlich.
»Ich wollte auf den Markt, bevor die Mädchen wach sind… begleitest du mich?« Wären sie erst einmal wach, würde zumindest Johanna mitkommen wollen und es wäre ein leichtes für die kleine Krabbe herauszufinden um was es geht. Umso größer wäre dann die Enttäuschung, wenn kein Schlitten aufzutreiben wäre. »An Kaylis?« Er hat geschrieben. Es war abgemacht, dass er es tun würde. Eins und eins ergibt recht schnell zwei – oder bleibt eben eins und eins, wie man sieht.
Das Weib würde sich auf jeden Fall auf die Suche begeben. Wer weiß ob sie fündig werden würde(n).

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Kelian_


It takes a lot to know a man
12.12.1462


Tatsächlich bekomme ich schon wieder nicht mit, dass das Weib hinter mir steht. Wäre es mir früher genauso gegangen? Vielleicht. Immerhin bin ich vertieft, die Feder gleitet unablässig über das Papier und natürlich soll es nicht peinlich werden, wenn ich dem Landgraf einen Brief schicke. Außerdem rechne ich noch nicht mit Rondra. Es ist recht früh, weshalb auch die Ruhe im Schankraum gerade dazu einlädt den Brief zu schreiben. Wieder hat das Weib schlecht geschlafen, sich umher geworfen, gemurmelt. Ich bin davon irgendwann aufgewacht und auch wenn es meine Aufgabe ist sie zu beschützen, so sehe ich mich zumindest bei ihren seelischen Qualen zur Zeit nicht in der Lage. Ich hätte sie wahrscheinlich wecken sollen oder sie in den Arm nehmen, aber dies war irgendwie nicht drin. Also bin ich einfach aufgestanden, habe mich angezogen, mir Wasser in das Gesicht gespritzt und bin gegangen. Habe sie alleine gelassen. Wie so oft in letzter Zeit. Vielleicht wird es besser, wenn wir in Württemberg sind, wenn sie ein wenig Zeit mit Arioste verbracht hat. Eine Freundin zu haben mit der sie über alles reden kann, wird ihr gut tun. Auch wenn ich mir sicher bin, dass Arioste als getreue Freundin, sowie Fuggerweib Rondra auch noch beipflichten wird. Nun, prinzipiell verstehe ich sicher, worum es geht und dass es nicht falsch ist. Es ist dieser absolute Alleingang, der mich so wahnsinnig aufreibt. Der uns hierhin gebracht hat. Dies und einige Kleinigkeiten, die sich dazu addieren und uns nicht die Chance geben, wieder ein wenig näher zusammenzurücken.
Ihre Hand reißt mich aus meinen Gedanken, weg von dem Brief, der quasi fertig ist. Ich sollte häufiger Lachen. Ja, sie hat recht, aber ehrlich gesagt: Ich habe zur Zeit nichts zu lachen, die einzige, die mich ständig dazu bringt, ist Johanna. Der kleine Wirbelwind macht es wahrscheinlich automatisch, vielleicht hat sie aber doch schon Wind bekommen. Rondra. Leise ihr Name ausgesprochen, meine Mundwinkel heben sich ein Stück. Ein Anfang, oder nicht? Ein schwungvoller Strich setzt meinen Namen unter den Brief, bevor ich ihn noch schnell knicke. Ja, ich bin fertig. Einen guten Morgen. Ich bin ihr Mann. Auch wenn sie mich degradiert hat, ohne es vielleicht zu wissen. Ich schüttele sanft ihre Hand von meiner Schulter, indem ich mich erhebe. Allerdings nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil ich mich tatsächlich zu ihr hinüberbeugen möchte, um sie zu Küssen. Hey, es ist immerhin am Morgen und wir sollten vielleicht wirklich wieder anfangen uns zusammenzuraufen. Wie auch immer. Ja an Kaylis. Wir Kerle müssen uns schließlich zusammenraufen. Unangebracht? Keine Ahnung, den Brief einsteckend - wir müssen einen Boten auftreiben -, nicke ich ihr zu. Natürlich. Was für eine Frage. Warum um alles in der Welt sollte ich sie nicht begleiten? Absurd. Wir würden also schauen, ob in Deggendorf jemand einen Schlitten zu verkaufen hat. Alles für Johanna. Naja und Nora, aber dies interessiert mich wirklich nicht.

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Rondra
14. Dezember 1462
{Ingolstadt}


Eine weitere Stadt, ein weiteres Gasthaus. Ein ruhiger Abend auf dem Zimmer, das kleine Bündel Leben in der Wiege neben sich. Immer wieder stößt der Fuß der Blonden dagegen, um das leichte Schaukeln beizubehalten, während die Sticknadel immer wieder in die Handarbeit fährt. Keine Freizeitbeschäftigung die sie je lieben würde – aber sicherlich würde die Tür ohnehin bald aufgehen. Kelian, die Mädchen, die Amme. Lange ist es sie diese Tage nicht allein. Gerade gedacht, da sind es schon die vertrauten Schritte, welche schließlich vor der Tür verstummen. Ein Lächeln. Seinen Schritt würde sie aus hunderten heraushören können, auch wenn sie heute irgendwie anders klingen. Ein klirren, als vor der Tür polternd etwas zu Boden fällt. Bloody Hell. Dumpf hört sie den englischen Fluch durch das Holz der Tür. Das Lächeln wird zum Grinsen. Herrje, was mag passiert sein, wenn er flucht und noch dazu in seiner Muttersprache. Schon erhebt sich das Weib und wendet sich zur Tür, durch die just in diesem Moment auch schon der Ehemann tritt und herzhaft gähnt. Feels just right...some kind of home... Die Braue hebt sich. Er muss getrunken haben, ziemlich viel sogar. Überhaupt, wie schaut er aus? Fieberhaft rattert es in ihrem Kopf, die losen Enden wollen sich nicht verknüpfen lassen. Es ist so vertraut und doch so fremd. Ihr Mund öffnet sich, doch das Reden scheint ihr nicht vergönnt zu sein.
Noch nicht ganz durch die Tür, schieben sich schlanke kleine Hände um seine Mitte, wie selbstverständlich arbeiten sie sich unter sein Hemd.
“Wrong door, it’s the next one, dear.“ Das schnurrende Gurren, gefolgt von einem albernen Kichern, lässt das Blut in ihren Adern gefrieren. Was beim Namenlosen? Ein musternder Blick aus glasigen Nebelgrauen, bevor Kelian fast abfällig grinst und zurück stolpert. Die Tür fällt zu, weiteres Gekicher im Gepäck, bis die nächste knarzt. Ihr Herzschlag scheint zu explodieren. Sie hat es kommen sehen, oder nicht?
Doch bevor es hinterher geht, oder auch nicht – fällt ihr Blick in die Wiege. Babyaugen, die sie anstarren. Doch es ist nicht Graham. Es ist…. Nora?! Das Zimmer scheint sich zu drehen, während sie zum Fenster wankt. Nasskalte Straßen, nebelgrau. Lewes.
Bevor sie begreifen kann, arbeitet sich Rondras Verstand zurück an die Oberfläche. Ja. Es ist ein weiterer Gasthof. Keine Stickerei, kein Säugling in einer Wiege. Kein englisches Küstenstädtchen.
Ingolstadt im Jahre des Herrn 1462. Verwirrt und gerädert vom Schlaf wischt ihr Handrücken den Traum fort. Heute ist es kein Albtraum wie Marburg oder der Friedhof. Doch in seiner Aussage mindestens genauso grausam. Sie sollte das Schlafen sein lassen, vor allem diese Nachmittagsschlafe, nach ihrer Ankunft. Müder als zuvor schiebt sie sich vom Bett, um das Zimmer gleich darauf zu verlassen. Die Kehle ist ausgedorrt und Rondra weiß ziemlich genau was sie braucht um diese garstigen Bilder zu vertreiben.
Ingolstadt also. Die bayrischen Städte reihen sich aneinander wie auf einer Schnur, so wie es auch die Tage tun.

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Kaylis


14. Dezember 1462 - Reutlingen - Eine Weihnachtsüberraschung

Wie jeden Tag verbringt Kaylis einige Stunden in seinem neuen Arbeitszimmer. Die Korrespondenz schien kein Ende zu nehmen. Erst jetzt ist er so langsam dabei zu begreifen, wie groß Thüringen wirklich ist. Es ist ein derart immenser Aufwand alles zu regeln, dass er manchmal befürchtet dem Ganzen nicht gerecht zu werden. Er benötigt dringend zuverlässige Vasallen, denen er ein Teil der Aufgaben abgeben kann. Dann würde es vielleicht weniger werden. Gerade liegt ein Todesurteil vor ihm, dass er unterzeichnen soll. Wenn der Verfasser den Zusammenhang richtig wiedergibt, dann geht es um ein gestohlenes Huhn. Der Richter in ihm sträubt sich dagegen hier eine leichtfertige Entscheidung zu treffen. So legt er diesen unangenehmen Brief beiseite. Wieso kann es nicht auch mal einfach sein? Die Einrichtung des Hauses hat auch viel mehr Energie in Anspruch genommen, als er anfangs gedacht hat. Es musste an so vieles gedacht werden, das man für selbstverständlich nahm, aber doch organisiert werden musste. Aber wenigstens machte man an dieser Front Fortschritte. Die meisten Zimmer waren schon recht gut ausgestattet, sicherlich brauchte man hier und da noch ein Möbelstück. Zumindest aber die Räume, die wichtig waren für das tägliche Leben, sind 'fertig'. Die Gästezimmer waren hingegen noch nicht eingerichtet. Vielleicht hätten sie doch einfach das Haus vom alten Gerfried nehmen sollen. Es war nur ein paar Häuser weiter entfernt vom jetztigen – es stand also in gleicher Gegend am Hafen. Und so schlecht war das Anwesen auch nicht eingerichtet gewesen. Ja, stellenweise etwas altbacken, aber bestimmt nicht schäbig. Es wäre so viel einfacher gewesen. Aber sie wollten es ja nicht. Selbst schuld möchte man sagen. Er seufzt und nimmt den nächsten Brief zur Hand. Entgegen allen vorherigen sollte dieser nicht seine Lehen betreffen und sogar für eine rechte Überraschung sorgen. Er war von Kelian, das hatte er nicht erwartet. Aber es freute ihn und so liest er die Worte mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht. Zum Teil auch, weil es ein Freifahrtschein ist um Arioste anzulügen. Sie kommen sie besuchen. Das freute Kaylis sehr. Er ist sich vor allem sicher, dass Arioste sich sehr über die Gesellschaft Rondras freuen wird. Und wenn es ihr gut geht, ja dann gehts ihm auch gleich noch besser.
Bei der genauen Lektüre lachte der Blonde leicht. Erst schreibt er noch 'dich', dann wieder 'Ihr' und 'Euch'. Im Gegensatz zu den anderen Pergamenten, die er heute geschrieben hat, nimmt er dieses mal die Feder gern zur Hand und setzt eine Antwort auf, nachdem er eine gute Weile über die Unterbringung nachgedacht hat. Immerhin handelt es sich um den ganzen Peverellschen Haushalt. Aber auch hier war nach etwas Überlegung eine Antwort gefunden.

Geschätzter Kelian,

Ihr/du seht/siehst mich etwas verwundert. Ich dachte eigentlich wir wären per Du – und das war eigentlich ein Zustand, der mir sehr gefallen hat und von dem ich nur ungern wieder abrücken möchte. Ich besitze jetzt die Unverfrorenheit dich im Folgendem zu duzen, entschuldige mich aber gleich vorab, solltest du es anders handhaben wollen.
Unsere Reise nach Reutlingen verlief eigentlich recht reibungslos. Hier in Württemberg überschlugen sich dann aber die Ereignisse etwas und es hat zu gewissen Meinungsverschiedenheiten zwischen Arioste und mir geführt. Eigentlich dachte ich, dass wir diese wieder weitestgehend bereinigt haben. Deine Worte stimmen mich aber etwas unsicherer dahingehend, wenn ihre Worte Rondra gleich derart beunruhigt haben.
Ihr seid uns natürlich herzlich willkommen. Ich freue mich sehr auf euer kommen und bin mir sicher, dass Arioste es genauso sieht. Aber ich entspreche deinem Wunsch sehr gerne und weihe sie nicht ein. Wir haben ein Anwesen in der Reutlinger Neckarsiedlung auserkoren, das unser gemeinsame Zuhause werden soll. Das könnt ihr kaum verfehlen. Da würden wir euch sehr gern empfangen. Nur möchte ich dich gleich vorwarnen, dass die Unterkunft wohl anders als gewöhnlich ausfallen wird.

Ich freue mich sehr auf euer kommen und wünsche euch eine weiterhin sichere Reise.

Kaylis
Reutlingen, den 14.12.1462

Kay hat vor am morgigen Tag einfach das Haus von Gerfried auch zu pachten und die Familie Peverell dort unter zu bringen. Das schien die beste Möglichkeit. Gleich in der Früh wird er diesen Plan in die Tat umsetzen.

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Kelian_


It takes a lot to know a man
17.12.1462


Am morgigen Tag wäre diese Reise dann also auch wieder Geschichte. Wir wären dann also an unserem Ziel, zu Besuch bei den hohen Herrschaften, die wir vor so vielen Monden verabschiedet haben. Es fühlt sich gut an alles einmal hinter sich gelassen zu haben, auch wenn unsere Anwesenheit auf Rabenstein sicherlich auch erforderlich wäre. Es gab viel zu tun, bevor wir abgereist sind, es würde auch wieder viel zu tun sein, wenn wir wieder zurückkämen. Zwischendurch wäre es genau das Gleiche, nur dass keiner von uns beiden anwesend wäre, um die Geschicke dort zu leiten. Es müssen also wichtige Menschen sein für die wir das kostbare Gut zurückgelassen haben. Klar, es ist Rondras beste Freundin, wie ich gestern erst festgestellt habe, haben sich die Weiber sicher viel zu erzählen. Für meinen Geschmack vielleicht ein wenig zuviel. Natürlich würden dabei auch die Ungereimtheiten zwischen Rondra und mir auf den Tisch kommen, ich bin mir nicht so sicher, ob mir dies so wirklich gut gefällt. Egal wie, es wäre es und ich hätte Kaylis, um mir mal wieder so richtig einen hinter die Binde kippen zu können.
Egal wie, wir nähern uns also dem Ganzen und bevor wir morgen in Reutlingen ankommen, habe ich die ganze Truppe, mit der wir unterwegs sind, noch einmal zusammengetrommelt. Die Mädchen oder wie ich sie nenne Johanna und der kleine Balast an ihrer Seite, Rondra, die Wachen, die uns begleiten. Es sind eben meine Männer, da möchte ich keine Klagen hören. Selbst die Amme, ja sogar Graham muss es sich anhören. Man könnte meinen, dass keiner von ihnen Benehmen hat. Well, ich erwarte, dass sich jeder in Reutlingen benimmt. Ich möchte keine Klagen hören. Weder von Kaylis oder Arioste, noch von irgendeinem anderen Bürger in Reutlingen. Wir sind dort zu Gast und wir haben uns zu benehmen. Ich denke, dass jeder von euch weiß, was dies bedeutet. Keine Frauen, kein Quengeln wegen irgendwelcher Dinge, keine Zankereien oder Zickereien. Keine Ansprüche, wir werden nicht so wohnen wie in Rabenstein, was selbstverständlich sein sollte. Für jeden von euch. Wir besuchen Freunde. Na, sicherlich keine Glanzleistung, aber sicherlich auch nicht ganz schlimm. Sie würden meine Intention schon verstehen. Da bin ich mir sicher. Nachdem die Ansprache im Großem stattgefunden hat, winke ich mir sogleich die Wachmänner bei Seite. Natürlich für sie gibt es Sonderinformationen. Wir würden sie hier nicht benötigen, zumindest nicht so intensiv. Klar, warum auch? Niemand kennt uns hier und so rede ich mit ihnen weiter, wenn auch nicht mehr für alle hörbar. Nehmt euch ein paar Tage Auszeit, dies war gute Arbeit. Ich will keine Klagen von den Weibern hören, verstanden? Ich werde euch morgen noch ein paar Taler in die Hand geben... Macht damit, was ihr wollt. Sie würden schon verstehen. Keine Klagen von den Weibern heißt für mich nur, dass ich keine Umstände haben möchte. Sollen die Kerle doch machen, was sie möchten. Wie dem auch sei, meine Ansprache ist damit vollends beendet und die letzten Meilen können wir dann auch noch zurück legen. Jetzt würde doch auch nichts mehr schief gehen. Kann gar nicht, zumindest nach meinem dafürhalten.
Im Übrigen war ich auch sehr umsichtig. Eine Vorwarnung ist auf dem Weg.

"Kaylis,

ich Depp. Natürlich ist es das 'Du'. Wir werden bereits Morgen eintreffen, mach dir unseretwegen keine Umstände.

Kelian."

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Rondra
20. Dezember 1462
{Reutlingen}


Es gibt Gründe, weshalb der Blondschopf vor Einbruch des Winters ankommen wollte. Offensichtlich hat es nicht ganz geklappt und so zogen sich die letzten Meilen bis zum Ziel länger als erwartet. Das zusammen mit einer leicht kränklichen Nora, hat dem kleinen steirischen Trupp doch eine ungeplante Verspätung eingebracht.
Immerhin am zwanzigsten würde man mit Sicherheit Einzug in Reutlingen halten. Nur gut eine halbe Stunde von den Stadttoren entfernt, sind sie heute Nacht in einem kleinen Gasthaus abgestiegen. Es ist zu spät gewesen und es wäre wenig sinnvoll gewesen an die verschlossenen Tore zu klopfen und dann im besten Fall Kaylis aus dem Bett zu ziehen.
Früh ist Rondra auf. Nicht weil sie das Wiedersehen mit der Freundin nicht mehr erwarten kann, sondern weil der Zustand in ihrem Ehebett unerträglich zu sein scheint. Keine Träume heute, dabei weiß sie nicht was schlimmer gewesen wäre. Fest an den Körper des Ehemanns geschmiegt ist sie langsam aus dem Tiefschlaf ins Diesseits gedriftet. Es hat sich so richtig, so selbstverständlich angefühlt. Die Haut seiner nackten Brust unter ihrem Arm, sein Herzschlag direkt unter den Fingern ihrer rechten Hand und vier verschlungene Beine und Füße, gefesselt von einem Wust aus unterschiedlichsten Stoffen – seine Hose, ihr Nachthemd und das Bettzeug. Diese vertraute Nähe – die sich ohne zu Fragen eingeschlichen hat, unbemerkt und unterrücks. Der Duft seines Körpers – dem scheinbar immer die herbe Note von englischen Teeblättern anhaftet, auch wenn das natürlich vollkommener Schwachsinn ist. Die heimelige Wärme des Bettes – einer Insel gleich, denn der Raum außerhalb der zugezogenen Bettvorhänge würde zweifelsohne eisig kalt sein.
So grausam wie sich der Kälteblitz anfühlt, sobald der nackte Fuß den kalten Fußboden berührt, so grausam und kalt ist auch ihre Erkenntnis, als Rondras Verstand den letzten Rest des süßen, klebrigen Schlafes besiegt hat. Es ist eben nichts warm und vertraut. Bestenfalls ist es schwierig.
Früh ist das Weib also dem Ehebett entflohen, um wenig später vom der verschlafenen und übellaunigen Wirtin ihr Frühstück zu fordern. Danach in den Stall und einige Zeit später eben zu den Mädchen.
Reutlingen. Sie würden wohl mit als erste am Stadttor ankommen.

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Kelian_


It takes a lot to know a man
29.12.1462


Fühlt es sich nun besser oder schlechter an nicht mehr auf Rabenstein zu sein? Nun in jedem Fall bringt es Schwung in die Dinge. Keiner von uns hat seine Arbeiten, zu denen er sich zurückziehen kann. Wir sehen uns öfter. Vielleicht öfter als uns lieb ist. Keine Frage, ich suche nach wie vor meine eigenen Wege, aber ich möchte natürlich auch nicht, dass es den Freunden auffällt und so sieht man uns dann doch auch wieder ausreichend genug zusammen. Was aber unsere Probleme deutlicher zeigt, zumindest für uns beide. Nur ein falsches Wort und das Weib geht dazu über mich wie ein rohes Ei zu behandeln. Ich für meinen Teil ignoriere ihre Anwesenheit auch einfach ganz gerne und schwadroniere mit Kaylis über unser schweres Leben. Oder verabrede mich eben mit dem. Zum Schlittenfahren. Der Schnee nimmt zu und so würden wir sicherlich alsbald im neuen Jahr genau diese Aktion starten. Dank einer beleidigten Arioste wohl komplett ohne die erwachsenen Weiber und ich kann nicht einmal sagen, dass es mich sonderlich stören würde, auch wenn ich weiß, dass mein Weib dies mögen würde. Jeder ist sich selbst am nächsten, zur Zeit.
Es ist wie es ist und irgendwie bin ich trotz meines Entschlusses nicht dazu übergegangen an unserer Beziehung zu arbeiten. Warum auch? Wir haben eine Ewigkeit. Was ich aber gemacht habe, ist mir den Hafen sehr ausgiebig anschauen. Tagsüber mit Johanna, abends alleine. Ich habe mit den Seemännern gesprochen, auch wenn sich hier kaum solche versammeln, wie ich einmal einer war. Zu weit im Land liegt der Hafen, aber es sind Schiffe und ich kann meine Nase ein wenig in den Wind halten. Dass die Kneipen am Hafen natürlich keineswegs solche sind, in denen ich mich rumtreiben sollte, ist auch mir klar. Aber deshalb muss ich meinem eigenen Rat oder Bauchgefühl ja nicht trauen. Meine Gedanken gleiten in die Nacht zurück, dasselbe Gefühl überkommt mich. Ein leicht schaler Geschmack im Mund, all meine Härchen haben sich sofort aufgestellt. Mein Herz schlägt ein wenig schneller, aufgeregt. Meine linke Hand verkrampft ein wenig, als ich versuche alles wegzuwischen, eine sichtbare Handlung, da es meine Haare trifft. Es gelingt nicht. Wieder spielt sich diese Szene vor mir ab, ich kann es nicht einmal verhindern. Es war Abend, nein eigentlich schon Nacht und ich bereits recht betrunken. Der Hafen, city of sins. Der Abend war eigentlich vorbei, nur noch ein oder zwei Schluck in meinem Glas, natürlich saß ich allein am Tisch. Saß ich? Ein Blick zur Seite offenbart, dass dies ein Trugschluss war, denn neben mir hatte sich ein Weib niedergelassen. Nicht besonders schön, aber auch nicht gerade hässlich. Ihr Ausschnitt ließ tief blicken, ein prall gefülltes Dekolté, welches irgendwie das von mir angedachte Alter nicht widerspiegelte. Leise, säuselnde Worte. 'Du bist ein ganz schweigsamer, nicht wahr? Einsam, geknechtet, missverstanden. Ich weiß was du brauchst.' Kein Wort von mir, warum auch. Nur eine Handbewegung, dass sie mich lassen soll. Ich würde gehen, sobald das restliche bereits schon schale Bier ausgetrunken wäre. Weitere Worte, das Weib ist näher gekommen. 'Vertrau mir... ich seh's dir an.' Meine Gedanken spreche ich nicht aus, ich frag mich allerdings, ob das Weib etwas anderes sieht als den bereits genossenen Alkohol. Genug der Worte, ich bin entschlossen zu gehen, weshalb meine Hand den Bierkrug fasst, um ihn zu leeren. Gleichzeitig spüre ich eine andere Hand, allerdings nicht am Bierkrug, sondern in meinem Schritt. Geschickte Hände, die genau wissen, wie sie kriegen was sie wollen. Ganz leicht verdrehe ich meine Augen, habe lange nicht mehr gespürt, was das Weib weckt. 'Nicht.' Es ist mehr gelallt, als so bestimmt gesagt wie ich es wollte. Der Bierkrug landet wieder auf dem Tisch, ich versuche die Hand des Weibes abzuschütteln, auch wenn sie spürt, dass es zumindest einem Teil von mir gefällt. Wieder die säuselnde Stimme. 'Siehst du, komm mein Süßer, komm...' Fester packt ihre Hand mich, sowohl an der Hand als auch an der ursprünglichen Stelle - ich soll ihr folgen. Nein! Nein! Das geht doch nicht...
...geht wohl. Geht gut. Fühlt sich gut an. Befreiend. Erlösung. Der fremde, aber nicht unappetitliche Leib des Weibes an meinem, vereint in animalischer und von Alkohol angefachter Lust. Immer und immer wieder. So gut. Die Gedanken, mit denen ich dies bedenke, sind genauso plastisch wie der Traum letzte Nacht. Der Moment in dem ich erwacht bin, gespürt habe, dass es mich erregt - so sehr, dass ich dabei fast Schmerzen hatte - die darauf folgenden Gedanken, die den Traum zurück verfolgen. Es ist verschwommen, was genau davon nun wirklich passiert ist. Nein. Nein ich weiß es genau, es widert mich an und doch ist es nicht das erste Mal, dass ich den Traum nun hatte. Nur scheint er länger zu werden sowie scheine ich oder eher mein Unterbewusstsein viel Spaß am Ausschmücken zu haben. Auch jetzt spüre ich, dass dieses Hirngespinst mich nicht kalt lässt, ich versuche die Gedanken wieder abzuschütteln. Lesen, ich wollte lesen. Wir sind auf einem gefährlichen Pfad und er scheint immer gefährlicher zu werden. Ich sollte Rondra suchen, mir nehmen, was mir zusteht und doch scheine ich da so gar kein Interesse zu haben. Im Gegenteil, es hilft mir mich zu beruhigen. Phantasien am hellichten Tage!

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Rondra
29. Dezember 1462
{Reutlingen – Kaylis‘ Gästehaus}


Eines haben Rabenstein und Reutlingen gemeinsam: auch hier plätschert die Zeit dahin, so das man den stetigen Strom kaum wahrnimmt, bis man schließlich aufblickt und bemerkt wieviel Tage der Fluss des Lebens tatsächlich mit sich genommen hat.
Längst haben sich die Peverells im Gästehaus eingerichtet. Wie auch nicht, ist doch alles bestens von Kaylis geregelt worden. Die Kinder, allen voran Johanna, haben die Räume in Beschlag genommen und sich an der Seite der Erwachsenen Hof und Gasse erobert. Weihnachten ging gut über die Bühne. Ein vorsichtiges Umtanzen des kirchlichen Hintergrunds. Schwierig, aber tatsächlich gab es keine Kollusion mit den Freunden bezüglich der Glaubensfragen.
Zeit die verrinnt, aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich zwischen Kelian und Rondra selber nichts geändert hat. Nichts? Nichts aktiv, aber gerade diese Passivität scheint gefühlt Tag zu Tag etwas zu ändern. Auch ohne diese unterschwellige Anspannung wäre Rondra dieser Tage nervlich angespannt. Die Situation ist zu ähnlich, die Ängste zu groß – und alles jährt sich bald zum zweiten Mal. Oft wird jedes Wort abgewogen und selbst dann noch wieder zurückgerudert, beim kleinsten Anzeichen davon die falschen erwischt zu haben. Ein Eiertanz, der alles beinahe unerträglich macht.
Langsam hat sich der Alkohol wieder in ihr Leben geschlichen. Langsam und noch nicht auffällig, aber jeder Becher eben heißer ersehnt als er eigentlich sollte. Ein Becher Wein zum Mittagessen. Einen zum Abendessen. Unterwegs einen Würzwein. Unbemerkt läppert es sich eben zusammen, doch auch der Drang nach Hochprozentigerem wird größer. Wie wohltuend wäre es doch einfach mal zu vergessen, traumlos zu schlafen und erholt aufzuwachen.
Normalerweise meidet Rondra ihren Ehemann so gut es geht zu Hause. Zu sehr zermartert sein Anblick quälend Herz und Hirn. Heute allerdings ist es anders. Ein Brief lässt sie seine Nähe suchen. Es mag sein wie es ist zwischen ihnen, doch seine Meinung ist ihr wichtig, auch jetzt und das würde sich wohl niemals ändern. Ein Brief, der einiges in ihr in Aufruhr versetzt. Gedanken anstößt und Gefühle in der vollen Bandbreite. Graufang. Gott, sie könnte wirklich einen klareren Kopf gebrauchen und ein ruhigeres Herz.
Einige Momente bereits steht der Blondschopf in der Zimmertür. Leise hat sie diese geöffnet, wollte nicht stören und erhält dadurch – ob nun von ihm bemerkt oder unbemerkt – Einblicke in sein Mienenspiel. Vielleicht hätte sie doch laut hereinpoltern sollen und den dünnen Vorhang seiner Privatsphäre zerreissen sollen. Zu spät. Es währt nur kurz, aber es genügt. Sein Anblick lässt ihr Herz höher schlagen, es passt einfach nichts zusammen, denn vielleicht sollte sie einfach beginnen ihn und sich selber zu hassen. So praktisch es wäre, es ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Vielleicht sollte sie so vieles. Nicht zum ersten Mal kommt ihr der Gedanke sich einfach zu holen was in ihrer Ehe fehlt. Körperliche Nähe mag nicht alles sein, doch bei ihnen ein Pfeiler der nicht zu verachten ist. Zurückweisen würde er sie kaum, oder? Nein. Allerdings blockiert so einiges den Weg zu diesem Schritt.
Ein leises räuspern von ihr, spätestens jetzt sollte er sie endgültig bemerken.
»Kelian?« es klingt ein bisschen quietschend und führt zu einem neuen Räuspern um die Kehle zu reinigen. »Verzeih….« woran er wohl gedacht hat? Ihr Blick gleitet zum Buch, bezweifelt den eigenen Gedanken aber sofort. Hat sie gestört? Sicher. Oh diese Unsicherheit. Das ist es womöglich was sie am meisten hasst, plötzlich unsicher zu sein wie ein kleines Mädchen und damit gefühlt noch alles schlimmer zu machen. Irgendwann… Jetzt zum Beispiel. Ein kleines bisschen straffen sich ihre Schultern und drückt sich ihr Rücken durch. Und wenn sie gestört hat – sie ist sein Weib. »Ich habe einen Brief aus der Steiermark erhalten. Er ist von seiner Seligkeit und ich möchte, dass du ihn liest. Ich bin mir nicht sicher was ich davon halten soll, wie ich reagieren soll.« Diese Mauer zwischen ihnen steht da nicht vollkommen umsonst. Scheinbar arglos und eben gerade deshalb nicht, tritt Rondra nun gänzlich ein. Sie würde zu Kelian gehen, um ihm das Schriftstück zu reichen. Die Zeit die er benötigt es zu lesen, würde sie ihm geben, allerdings brennt bereits so einiges auf ihrer Zunge. Vom Geliebten zum Freund. Geht das? Schwerlich wohl. Zumal der Rückweg noch schwieriger werden dürfte.






Rondra Peverell,

Wir schreiben dich heute als Unsere Tochter an, um von dir eine Verpflichtung für die heilige Mutter Kirche einzufordern.

Der ehrwürdige Diener Gottes, Graufang Fugger, wurde zur Vorbereitung seiner Beisetzung ins Kloster gebracht. Dort stellte sich fest, das der Leichnam -bis auf die ihm zu Lebzeiten zugefügten Verwundungen- vollkommen unversehrt ist. Es gibt für Uns keinen Zweifel, dass wir Uns einem Fingerzeig Gottes gegenüber sehen, der seinen ehrwürdigen Diener vor dem Gang allen sterblichen bewahrt.
Wir nehmen dieses Zeichen ausgesprochen ernst und werden über die Heiligkeit des ehrwürdigen Dieners nachzudenken haben.
Ein jeder Mensch ist aufgefordert, Argumente zu nennen, welche die Heiligkeit Graufang Fuggers untermauern könnten.

So rufen Wir dich, liebe Tochter, dazu auf, bis zum zwanzigsten Tag des Januar vor dem heiligen Tribunal deine Aussage über den Entschlafenen zu machen.

Graz am 19. Tag des Dezember

Gregor Marcellus



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Kelian_


It takes a lot to know a man
29.12.1462


So sehr in meinen Gedanken versunken, bemerke ich das leise Klappen der Tür nicht. Was natürlich auch Rondra für mich verborgen hält und ihr einen tiefen Einblick in mein Gefühlsleben offenbart. Diesen hatte sie schon länger nicht mehr, ich versuche all diese kleinen Kämpfe, die ich mit mir selbst austrage von meinem Weib fern zu halten und doch ist es vielleicht gerade dies, was uns beide nicht näher bringt. Ein reinigendes Gewitter wäre sicherlich angebracht, schon seit Wochen und doch schleichen wir beide um den heißen Brei wie zwei Katzen, die bereits gelernt haben, dass am Ende doch nur Verbrennungen heraus kommen. Als sich die Blonde also räuspert, sich für mich bemerkbar macht, huscht für einen winzigen Moment Schuld über mein Gesicht, bevor ich mich ihr verschließe. Sicherlich auch der falsche Ansatz, vor allem ist es lächerlich, dass ich schuldig bin - bin ich nämlich natürlich nicht. Aber die Gedanken von eben, die Phantasien im ehelichen Bett, die nichts mit ihr zu tun haben und dass sie mich dabei erwischt hat, lösen dann eben doch eine Art schlechtes Gewissen aus. Sicherlich etwas, was ihren absurden Gedanken Nahrung geben wird. Das Buch jedenfalls findet seinen Weg auf den kleinen Tisch, der da ganz in der Nähe steht mit einem noch etwas dampfenden Tee. Meine Stirn runzelt sich ein wenig. Gleich wegen zweierlei. Zum einen, dass sie mich um die Zeit aufsucht, denn es ist untypisch geworden. Vor einem Jahr wären wir froh gewesen über so viel gemeinsame freie Zeit, heute verbringen wir sie lieber getrennt, um diesen komischen Momenten zu entgehen. Wir hatten nie schlechtes Schweigen zwischen uns und plötzlich ist es zum Alltag geworden. Dann, dass sie sich dafür entschuldigt hier her zu kommen. Jes', sie ist nunmal meine Frau, sie sollte sich dafür nicht entschuldigen. Wir waren das perfekte Paar - und dann ist dieses Bild von uns zersprungen. Es gibt nichts zu verzeihen. Doch eine ganze Menge, aber ich kann noch nicht. Ich habe mich natürlich erhoben, es sind diese kleinen Rituale, die ich zu tun pflege und auch nicht aufgebe. Nein, ich setze dem ganzen sogar noch die Krone auf, gehe ihr die wenigen Schritte entgegen. Brief? Ja doch, gleich. Ein kurzer Kuss. Nichts dramatisches, mehr ein Auflegen von Lippen auf ihre, aber eben ein Zeichen. Sie ist mein Weib, sie wird es bleiben. Sie hat Rechte und Pflichten. Aus der Steiermark? Gut, es wirkt jetzt nicht wie die geballte Intelligenz, dass ich ihre Worte wiederhole, aber wenn man sich sonst nichts zu sagen hat. Ich fische den Brief aus ihrer Hand, bleibe gleich stehen beim Lesen, bewege mich aber wieder vom Weib weg. Ein Blick hinaus, kurz nachdem ich fertig bin mit Lesen. Huh. Ich sollte wahrscheinlich euphorischer reagieren. Dir fallen doch ganz sicher einige Argumente ein. Immerhin hat sie diesen Mann verehrt. Ob es einfacher wäre, wenn er noch da gewesen wäre? Oder auch jetzt noch da wäre. Vielleicht. Vielleicht wären wir dann aber auch nicht verheiratet. Wieder führen mich meine Schritte zu ihr, der Brief soll schließlich wieder bei ihr ankommen. Distanz trotz Nähe. Erstmal schauen, was sie zu sagen hat, denn dass sie eine Meinung dazu hat, ist klar.

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Rondra
29. Dezember 1462
{Reutlingen – Kaylis‘ Gästehaus}


Der kurze Anflug von Schuld auf seinem Gesicht bleibt nicht unbemerkt. Panische Alarmglocken müssten schrillen. Lautstark und durchdringend. Vielleicht würden sie das auch tun. Später, wenn Rondra wieder alleine sein würde und die Zeit wäre jedes Zucken seiner Miene und jede noch so kleine Bewegung wieder und wieder ins Gedächtnis zu rufen und zu analysieren. Fürchterlich. Wann ist sie nur so geworden – und weshalb?
Wie eingespielt man doch auch in solchen Situationen sein kann. Der Kuss wird erwidert wie so oft in den letzten Wochen. Ihr Gesicht wendet sich dem seinen zu, bietet ihre Lippen an, um den Kuss zu empfangen – ohne ihn großartig aktiv zu erwidern. Keine Erwiderung. Kein Drängen auf mehr. Lediglich das Empfangen.
Natürlich ruhen die Blauaugen auf Kelian, während er den Brief überfliegt. Klar dass ihr einiges dazu einfällt, Rondras heftiges nicken spricht Bände und im Gegensatz zu ihm ist sie dabei tatsächlich etwas euphorisch.
»Oh ja, einiges. Es… gab und gibt keinen treueren Diener des Herrn und niemanden der sein Wort besser führen kann…« Davon ist sie vollkommen überzeugt, aber das muss sie Kelian nicht erzählen, das weiß er. Ihre Euphorie rührt aber nicht von der möglichen Heiligsprechung, im Gegenteil. »Glaubst du…« plötzlich wird sie wieder ernster, ruhiger und etwas unsicher. Sie liebt ihn, den Onkel. Immer würde sie ihn lieben. Aber nicht nur den Kirchenmann, sondern eben auch den Onkel. »Ich denke nicht, dass seine Seligkeit lügt, aber… die Vorstellung er könnte … unversehrt sein, nach all den Monaten.« Die Hände, welche mittlerweile wieder den Brief halten beginnen das Papier nervös zu drehen und zu zwingen. Ganz klar, Rondra ist zu kopflastig, zu rational um dies einfach hinzunehmen. »Kelian… ich war damals in der Gruft. Ich habe ihn nicht gesehen, weil….« die Stimme bricht. Keiner hat es ihr wirklich gesagt was damals geschah, das Meiste der Wahrheit hat sie auf den Gassen und Märkten aufgeschnappt – danach haben oberflächliche Gespräche gereicht, um es bestätigt zu haben. Der grausame Tod des Onkels, abgeschlossen und verschlossen in ihrem Innersten und plötzlich ist er wieder präsent und allgegenwärtig. »Ich bin bei dieser Frage keine neutrale Person. Ich kann es gar nicht sein! Für mich… war er schon immer heilig. Schon als ich ein kleines Mädchen war, das sich auf seinem Schoß zusammengerollt und der heiligen Schrift gelauscht hat.« Nichts was eine ganze Kirche überzeugen kann, aber eben das kleine blonde Mädchen damals. Wieder knistert das Papier zwischen ihren Händen, als es malträtiert wird. »Es würde nicht reichen ihnen einen Brief zu schicken.«So viel steht fest. »Aber… ich kann auch nicht reisen um selbst zu sprechen.« Natürlich nicht. Sie würde die Familie nicht zurücklassen, aber auch nicht schon wieder auf die Straße scheuchen. »Ich möchte Balthasar her bitten, er soll mich vor dem Tribunal vertreten.« Ihr Bruder. Ihr kirchlicher Beistand. Denkt man an den Pakt den sie geschmiedet haben durchaus plausibel, oder? »Natürlich… würde ich ihn nicht hier unterbringen.« Eine knappe Handbewegung umfasst das Haus. Die dargebotene Gastfreundschaft würde sie nicht brechen. Niemals. Ihre Miene zeigt deutlich, dass sie durchaus noch mehr Gedanken zu der ganzen Angelegenheit hat. Ideen und Pläne, aber ob diese ihn so sehr interessieren? Balthasars Anwesenheit in Reutlingen – sofern er ihrem Ruf überhaupt folgt – würde ihn allerdings schon ein wenig angehen. »Außerdem hat er ihn sicherlich gesehen…« schiebt sie leiser hinterher. So weit ist es also schon. Sie vertraut dem Bastard mehr als dem Patriarchen. Nun gut, nicht direkt, aber indirekt.

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Kelian_


It takes a lot to know a man
29.12.1462


Was genau sind eigentlich meine Gedanken dazu? Ich habe recht schnell für solch ein wichtiges Thema geredet, allerdings natürlich auch nicht meine wirkliche Meinung von mir gegeben, sondern eher das einzig Vernünftige gesagt. Gibt es jemanden, der den Alten besser kannte als Rondra? Zumindest von den noch lebenden Fugger? Eher nicht. Ich kannte den Patriarchen kaum. Überhaupt? Ja, ich habe durchaus einige Predigten seinerseits gehört, konnte mir ein Bild von seinem weitem Verständnis machen und doch nie so erwärmen wie Rondra. Was sicherlich auch eher an meinem Verständnis für die Kirche liegt als an dem Mann selbst. Unbestritten ist sicherlich, dass er ein ganz großer war, wenn vielleicht auch nicht die Körpergröße bemessen.
Allerdings - glaube ich an Wunder? Ja. Eines davon steht für mich vor mir. Also ist es durchaus im Bereich des Möglichen, dass der Alte da nun plötzlich unversehrt liegt, zumal ich ihn mir sowieso nie angesehen habe. Genauso wie Rondra. Im Gegensatz zu ihr weiß ich jedoch ziemlich genau, was damals passiert ist. Es jährt sich schon - oder hat bereits? Ja, letztes Jahr um diese Zeit sind wir wahrscheinlich gerade in unsere Häuser zurück gekehrt. Ich schweife weit ab. Sehr weit und einen Moment liegt mein Blick sehr nachdenklich auf der Blonden. Ich bin in glücklicheren Zeiten - aber auch in Zeiten der großen Entscheidungen. Sie gehört zu meiner Familie. Peverell. Weil ich es so wollte. Leise meine ich zu ihrem ersten Gesagten. Schreib ihnen dies, sie sollten Gefühle verstehen. Vor allem deine. Ein sachtes Lächeln sogar dazu, ich weiß genau wie wichtig ihr Onkel ihr war, weiß wie schwer der Verlust auch heute noch wiegt. Nein, ich habe nicht alles vergessen, was zwischen uns selbstverständlich war.
Wieder und wieder öffnet sich mein Mund leicht, weil ich etwas anbringen möchte. Mein Name aus ihrem Mund, eine Handbewegung, dass sie nicht weiter sprechen muss, dass ich selbst genau weiß, was geschehen ist. Der Unwille über eine erneute Reise, den ich aber nicht ausdrücken kann, da sie einfach weiter redet und plötzlich steht da im Raum, dass der Bastard uns besuchen könnte. Hier! Will ich dies? Der Kerl. Hm. Ein Bund für's Leben wurde geschmiedet, genauso wie der andere hier vor mir steht. Untypisch für die letzte Zeit, aber sicherlich den vorangegangenen Gedanken geschuldet, trete ich hinter das Weib. Es ist mir egal, wie sie reagiert, auch wenn natürlich eine positive Reaktion eine Wiederholung solch eines Ereignisses sehr viel wahrscheinlicher macht- ich trete hinter sie, meine Hand schleicht sich an ihrer Hüfte vorbei, um auf ihrem Bauch zu liegen zu kommen. Ein wenig festerer Druck, der ihren Rücken an meinen Bauch drückt, mein Gesicht neben ihrem. Lässt du mich auch was sagen? Es klingt nicht unfreundlich, aber es ist eine Tatsache, dass sie mich nicht hat zu Wort kommen lassen. Ein leises Räuspern, ist ja eine eher ungewohnte Situation für uns beide - zumindest in letzter Zeit. Lad' ihn ein, wenn du möchtest. Sicherlich möchte er auch sein Patenkind sehen. So weißt du alles aus erster Hand und mir ist es gleich, ob der Kerl wochenlang auf der Straße zubringen wird - nur sei dir im Klaren darüber, welch Spur der Verwüstung er hinterlassen wird. Kein Rock wird vor ihm sicher sein. Sollte er fähig sein sich zu benehmen, könnte er meinetwegen auch hier nächtigen. Wir müssten natürlich mit Kaylis reden und seine Ausgaben sollten sich nicht erhöhen. Darüber sollten wir sowieso reden. Wir können diese Großzügigkeit nicht den ganzen Winter annehmen. Ein leises Seufzen, denn es ist wirklich ein wichtiges Thema. Langsam löst sich meine Hand wieder und würde das Weib mich nicht aufhalten, dann würde sie recht schnell wieder alleine dastehen. Momente kommen und gehen eben auch wieder.

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Rondra
29. Dezember 1462
{Reutlingen – Kaylis‘ Gästehaus}


So wie er sie hat ausreden lassen – ob nun freiwillig oder nicht – so lauscht Rondra nun seinen Worten. Ein vorsichtiges und nicht ganz begeistertes Nicken ist ihre erste Reaktion. Der Kirche die eigenen Gefühle offenbaren. Sie in ihr Innerstes zu lassen, über die Liebe zu ihrem Onkel zu schreiben. Es macht verletzlich sich derart zu öffnen und Rondra hat ihren Glauben bisher gerne frei von Gefühlen gelebt. Bevor sie darauf etwas erwidern kann, tritt er hinter sie.
Schlagartig wischt seine Nähe jeden logischen Gedanken aus ihrem Kopf. Es ist kein Platz mehr dafür, kaum stiehlt sich seine Hand um ihre Hüfte, beginnen die Emotionen zu toben. Ihr Puls beginnt leicht zu zappeln, dann zu stolpern, nur um schließlich vollkommen außer Rand und Band loszustürmen. Wunderbar. Sicherlich würden ihre Knie im nächsten Augenblick nachgeben. Oder…
Da schiebt sich sein Kopf neben ihren. Überdeutlich ist sich Rondra dieser ungewöhnlichen Nähe bewusst. Jedes Härchen, jede Faser ihres Körpers nimmt ihn wahr und scheint die Präsenz zu vervielfachen. Salzige Seeluft. Herbe Teeblätter. Nassgrauer, dicker Nebel. Er kann unmöglich nach all den Monaten danach riechen, doch genau dieser Duft legt sich in ihre Nase und hält sie umfangen wie sein Arm. Mehr davon. Sich einfach umdrehen, die Nase in der Kuhle seines Halses vergraben, dort wo die Wärme seiner Haut und die sachte Bewegung seines Herzschlags den Duft noch intensivieren würden. Es wäre so vertraut, denn sie kennt es. Es bringt sie um den Verstand, wenn nicht jetzt, dann bald. Ihr Rücken leicht gegen seinen Oberkörper gehalten, ihre Augen schließen sich ohne dass es ihr bewusst wäre. Genauso unbewusst wie sich Rondras Hintern sanft gegen sein Becken schmiegt. Keine eindeutige Aufforderung, niemals würde sie sich derart anbieten, sondern eher eine flüchtige Bewegung, resultierend aus seiner Umarmung. Wärme breitet sich in ihr aus, dort wo sonst dieses schwarze Loch sitzt. Ein leiser, äußerst wohliger Seufzer rutscht über ihre Lippen – und reißt Rondra zurück in die Gegenwart. Es ist kein harter Aufprall auf dem Boden der Tatsachen, aber eine kleine, für sie peinliche Stille. Seine Hand beginnt sich von ihr zu lösen. Was hat er gesagt? Da waren Worte, seine Stimme hat ihr Ohr erreicht, ein liebvertrauter Klang, aber ihr Sinn hat den leergefegten Kopf nicht erreicht. Hitze schießt in ihre Wangen, während Rondra nach Wortfetzen sucht, die sie irgendwie miteinander verbinden kann. Gleichzeitig ist da dieser unglaubliche Drang ihn bei sich zu behalten, die Wärme zu erhalten, die bereits wieder von diesem schwarzen Loch bedroht wird. Himmel. Das muss ein Ende haben!
»Kaylis, ja.« den Namen hat sie aufgeschnappt. »Wir sollten vorher mit ihm reden.« hatte er das gesagt? Wieder wird das Schreiben des Patriarchen Opfer ihrer fahrigen Hände. Großzügigkeit. Ah. Da war was. »Ich möchte ihn aber auch nicht vor den Kopf stoßen und ihm seine Gastfreundschaft abschlagen. Ich… habe selbst bereits darüber nachgedacht.« Und ausnahmsweise hatte sie keine brauchbare Idee, wie man da elegant heraus käme. Genauso wie ihr die Idee fehlt, wie sie Kelians Nähe behalten könnte. Entfernt er sich, würde sie ihm langsam folgen. »Mit den Angestellten hier kann ich sprechen. Unser Unterhalt sollte von uns bestritten werden. Rabenstein…« nun, wären sie zu Hause würde die Grafschaft auch ihren Lebensunterhalt tragen. Sie würden sich hier eben zusammenreißen wie dort. »Bleibt das Haus….« ja, ein Gespräch scheint unumgänglich.

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Kelian_


It takes a lot to know a man
29.12.1462


Eine gefährliche Nähe, die ich selbst geschaffen habe. Ich habe nicht mit dieser Art von Reaktion gerechnet, die doch recht stark dafür ausfällt, dass ich das Weib quasi nur in den Arm nehme. Dieses leise Seufzen, ihr Hintern nahe meines Beckens. Mh. In anderen Momenten wäre dies hier definitiv anders ausgegangen, Erinnerungen fluten für einen Augenblick meinen Kopf. Ein kurzes Grinsen, denn ganz eindeutig höre ich da Rondras entsetztes Keuchen - mein Name darin verwickelt und natürlich einer ihr etwas unangenehmen Situation entsprungen. Soweit würde ich heute aber sicherlich nicht gehen, im Gegenteil ich trete lieber wieder schnell die Flucht an, bevor sie zuviel hineininterpretiert und am Ende denkt, dass es nun wieder bergauf geht. Macht es das? Geht es bergab? Nö. Wir verharren ganz einfach weiter in der jeweiligen Ohnmacht des anderen. Da sie also körperlich nichts weiter unternimmt, um mich in ihrer Nähe zu halten, löse ich mich in einer angemessenen Geschwindigkeit. Langsam, aber sicher nicht erotisch. Nein...also Ja... Vertrackt, wenn man die eigenen Gedanken nicht ganz auf die Reihe bekommt. Meine Schritte führen mich zumindest zu meinem Tee, der nun anstatt Rondra in die Umarmung meiner Hände genommen wird. Sanftes Hineinpusten, bevor ich einen Schluck probiere. Nein, sie haben immer noch nicht verstanden wie man vernünftigen Tee macht. Hätte ich wohl auch nicht erwarten sollen. Ich möchte ihm keinesfalls vor den Kopf stoßen. Ich glaube er ist sehr froh darüber, dass er uns dies bieten kann. Ich denke auch kaum, dass es ihm ein allzu großes Loch in die Tasche reißt, er hat ganz andere Voraussetzungen als wir. Allerdings ist es mir unangenehm und ich würde gerne etwas tun... mich erkenntlich zeigen oder wenn du meinst, dass es geht Kosten übernehmen. Ich habe daran gedacht, dass man hier doch sicher Handel aufziehen kann oder dass ich einmal mit Kaylis rede, was Thüringen braucht. Vielleicht kann Rabenstein seinen Teil dazu beitragen. Wir haben schon sehr unterschiedliche Güter. Natürlich auch in ganz anderen Größenmengen, aber es soll auch nur eine Art Beteiligung sein. Verzwickte Lage. Noch ein Schluck vom Tee. Habt ihr angefangen die Hochzeit zu planen? Vielleicht können wir auch da etwas... Ich hab doch auch keine Ahnung, weshalb ich nun einfach mit den Schultern zucke. Das Weib weiß doch selbst genau, was ich meine. Warum muss ich mir denn hier einen abstrampeln. Ach, ich werde an Mira schreiben, wenn du also möchtest, können wir die Briefe gemeinsam schicken oder falls du noch jemand anderem schreiben möchtest. Also, falls sie mal wieder einen Mord hinter meinem Rücken planen möchte. Es sind gar nicht so bittere Gedanken, sondern fast ein wenig belustigt. Ist das gut?

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Rondra
29. Dezember 1462
{Reutlingen – Kaylis‘ Gästehaus}


So langsam er sich auch lösen mag, letztendlich tut er es eben doch. Himmelherrje. Natürlich beginnt es im Kopf des Blondschopfes sofort zu rattern. Ist es zu viel gewesen? War überhaupt etwas und wenn ja was? Mit Sicherheit kann Rondra für sich feststellen, dass sie sich Sekunden hat gehen lassen in dieser Umarmung. Wie sonst hätten seine Worte derart an ihr vorbeirauschen können?
Das leise Seufzen ihrerseits, war das Wirklichkeit oder Einbildung? Letztendlich ist das wohl einerlei. Ihre rechte Hand löst sich vom kirchlichen Schreiben und legt sich an ihre Stirn, wo Mittelfinger und Daumen beginnen ihre Schläfen zu massieren. Fort von ihm, wenn Kelians Nähe sie derart um den Verstand bringt. Ha! Rondra um den Verstand bringen, vor weniger als zwei Jahren hätte sie jedem einen Vogel gezeigt. Ihr Verstand ist es schließlich für was sie bekannt ist. Oder war? Wann genau ist aus dem gestandenen Weib ein unsicherer, errötender Backfisch geworden, bei dem eine Berührung langt, um ihn in Flammen aufgehen zu lassen?
Rondra ihrerseits sucht nun das Weite – soweit in diesem Raum eben möglich. Richtung Fenster am Ende des Zimmers geht es, nicht gerade eilig, aber durchaus zielstrebig darauf bedacht Raum zu gewinnen.
Auf, auf. Nachdenken. Irgendwas Brauchbares sollte ihr doch einfallen? Handel. Ein bitteres Schmunzeln verfängt sich kurz an ihren Mundwinkeln, bevor es wieder verschwindet. Auch die einstige Fuggerin hatte diesen Gedanken bereits, wenn auch in eine etwas andere Richtung. Eine Gemeinsamkeit, oder ein Hinweis darauf dass sie sich ähnlich sind muss das aber wohl nicht sein. Es liegt irgendwie auf der Hand, oder? Jedes Kind wäre darauf gekommen. Erstrecht die Kaufmannstochter und der Seefahrer.
»Ja. Handel würde sich anbieten, ich dachte daran ebenfalls bereits, wenn auch nicht direkt mit Kaylis als Partner. Rabenstein kann wenig abgeben, in dieser Zeit. So wären es also allenfalls andere steirische Güter, die wir anbieten könnten.« Erst jetzt gehen die Blauen auf den Weg um ihn zu suchen. Ihre Braue zuckt fast belustigt, das Folgende sollte auf der Hand liegen. »Wenn ich mir allerdings die Märkte des Deutschen Königreiches ansehe und die Preise, so wüsste ich nicht mit was wir in dieser Hinsicht punkten könnten.« Schließlich ist alles vorhanden und er kennt die Probleme, die sie in der Steiermark hatten. Keine leichten Überlegungen.
»Ich weiß nicht wie es in Thüringen mit der Bevölkerung aussieht. Hat er zu viele Burschen, könnte man ihm vorschlagen einige Männer in die Steiermark zu schicken, als Arbeitskräfte im kommenden Jahr. Hat er dort zu viele, ist Kaylis womöglich froh einige sinnvoll unter zu bringen.« Unwahrscheinlich? Rondra hat keine Ahnung wie es in Thüringen aussieht. Klar dürfte ihnen beiden allerdings sein, was sie damit bezweckt. Junge Burschen sind in der Steiermark – zumindest auf Rabenstein – rar gesät. Der Krieg hat seinen Tribut gefordert und ein Loch gerissen, das sich nicht so einfach stopfen lässt. Eben jene Männer die ihr Leben ließen – oder nun ein Leben als Krüppel fristen – fehlen nun an allen Ecken und Enden. »Wer weiß, vielleicht verlieren einige ihr Herz an steirische Mädchen…« Gründen Familien, ob nun in der Steier oder in Thüringen. Klingt das hart? Nein, einfach nur rational. »Ansonsten könnten wir ihm auch noch Saatgut abnehmen…« Die Ernte war zwar ausreichend, aber sie haben bei weitem keine großen Reserven. Es gilt schließlich nicht nur über den Winter zu kommen, sondern auch an die nächste Aussaat zu denken – in jeder Hinsicht. Alles Dinge von denen eher sie Nutzen haben würden und nicht Kaylis. Rondra weiß das und es gefällt ihr nicht. Große Sprünge sind eben nunmal nicht drin in dieser Zeit.
»Ich wollte die Hochzeit nach dem Jahreswechsel angehen. Mein letztes Gespräch mit Kaylis war da wenig zielführend. Es hapert scheinbar an einem Geistlichen, der die Zeremonie abhält. Es dürfte schwierig werden zu planen, ohne dass dieser Punkt geklärt ist.« Ihre Schultern heben sich leicht. Wieder eine Sache wo sie keine Idee hat. Wie sehr es der Blondschopf doch hasst zum Nichtstun verdammt zu sein. Das bietet zu viel Zeit trüben Gedanken nachzuhängen. »Für die Feierlichkeiten selber habe ich einige Ideen…« für die Festgesellschaft. Natürlich, da ist das Weib dann wieder ganz in ihrem Element. Feierlichkeiten organisieren. Viel zu lange ist es her. »vorausgesetzt die beiden lassen mich.« fügt sie grinsend hinzu.
Tief holt Rondra Luft, bevor sie ihren Platz am Fenster wieder aufgibt. Langsam geht es wieder zurück, Richtung Tür.
»Richte Mirabel bitte meine herzlichsten Grüße aus. Ich habe nur Balthasar zu schreiben, aber sicherlich ist es sinnvoll die Briefe gemeinsam auf die Reise zu schicken. Ich werde meinen verfassen und dir bringen.« Sollte Kelian keine großen Erwiderungen haben, würde Rondra das Zimmer bald verlassen, um eben dies zu tun.

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Kelian_


Kings and Queens
02.01.1463


Ein weiteres Jahr ist ins Land gezogen. Nunja, egal, dies passiert zwar nicht jeden Tag, ich persönlich bin da nun aber nicht der Typ, der ein riesen Trara darum macht. Keine ständigen Rufe wegen eines gesunden, neuen Jahres und auch keine Geschenke oder Feier. Ein ganz normaler Abend an einem ganz normalen Tag. So wie auch der nächste Tag ein normaler war, nur eben einer im Jahr Vierzehnhundertdreiundsechzig.
Wie normal er war, sieht man sicherlich auch daran, dass ich zumindest den bereits erwähnten Brief geschrieben habe. Fehlt nur noch der von Rondra und diese würden sich auf dem Weg befinden.

Mira,

Räuberweib. Ich fürchte du hast mir mein Herz geraubt, das letzte Mal als ich dich reden hörte. Immer, wenn ich nun bei meinem Sohn stehe, erzähle ich ihm von seiner Tante Mira. Ich kann mich nur noch einmal wiederholen, du hast wunderschöne Worte gebraucht, vor allem aber weil ich weiß, dass sie wahr sind. Was sie vielleicht auch erst so schön werden lässt.
Nachdem ich dich nun mit diesen Anfangsworten sicherlich ein wenig in Verlegenheit gebracht habe, fange ich den Brief mal richtig an. Wie du weißt, wollten wir recht schnell nach Grams Taufe los, was dir natürlich die Möglichkeit nimmt den Kleinen oft zu sehen. Ich werde dir so gut es geht einen Eindruck vermitteln, aber vielleicht fange ich mal am Anfang an. Wir sind nun also tatsächlich auf das Drängen von Rondra hin losgereist, mit Sack und Pack. Du kannst dir vorstellen wie es aussieht, wenn drei Weiber und ein Knabe, dazu die Amme und die Männer sowie der bescheidene Seemann losreisen. Ich bin es ernsthaft nicht gewohnt soviel Gepäck zu haben, ganz im Gegenteil – normalerweise ist es nur mein Seesack. Weiber eben.
In jedem Fall verlief die Reise ganz ausgezeichnet. Es waren nicht zu starke Schneefälle, so dass wir sehr schnell hier in Württemberg angekommen sind und auch Reutlingen erreichten. Tja und dann fingen die ersten Probleme an, die aber auch eher minimal und lustig waren. Zu früh angekommen, wurden wir natürlich nicht erwartet und dann waren wir aber doch irgendwie ein wenig zu spät und so fragten wir uns durch die Kneipen, aber niemand kannte Kaylis oder Arioste. Es hat dann doch einen halben Tag gedauert herauszufinden, wo die beiden sich aufhalten, aber schließlich konnten wir sie finden. Wir haben ein schönes Haus und seitdem sind wir hier.
Graham gedeiht ganz prächtig. Er brabbelt vor sich hin, ganze Geschichten erzählt er schon. Ich bin mir immer noch nicht sicher, wem er ähnlich sieht, aber es bleibt festzuhalten, dass er die hellen Augen auf jeden Fall behalten wird. Nicht so blau wie Rondras, eher eine Mischung aus unseren beiden. Wobei sich dies wahrscheinlich im Laufe der Zeit noch ein wenig ändern wird, aber dies bleibt zu sagen. Noch sind seine wenigen Haare hell – hach, du weiß ja, ich bin ganz verliebt in meinen Sohn.
Wie läuft es denn bei dir oder besser euch? Nachrichten dringen irgendwie wenige hierher vor, aber auf der anderen Seite ist dies wohl auch wieder kein Wunder, immerhin ist der Winter dann wohl doch eingebrochen. Ich hoffe zumindest, dass es euch, dir und Tunny, gut geht und ihr das Leben genießt. Ich freue mich bereits jetzt auf ein Wiedersehen, auch wenn es wohl so aussieht, als ob wir frühestens im März zurückkommen werden. Die Straßen mit soviel Gepäck zu bereisen wäre Wahnsinn und noch ist die Hochzeit nicht im Ansatz geplant.

Ich vermisse dich, Weib,

K.
Reutlingen, 02.01.1462

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