Rondra
03. Januar 1462
{Reutlingen Kaylis Gästehaus}
Einige Tage sind ins Land gezogen. Der Brief an den Bruder hat sich nicht von alleine geschrieben, seltsamerweise. Ach, sie weiß genau was sie schreiben und fragen möchte. Allerdings scheint Rondra manchmal wie gelähmt. Die Gedanken ein zäher Brei, der schwer zu durchwaten ist und kein Ziel kennt.
Es muss auch an der Jahreszeit liegen. Diese Düsternis kommt immer im tiefsten Winter. Vor zwei Jahren und letztes Jahr ebenfalls von den Jahren davor ganz zu schweigen. Langsam allerdings sollte sie sich daran machen, denn ansonsten müsste Balthasar sich gar nicht erst auf den Weg machen.
Lustlos greift das Weib also zur Feder, taucht sie in das bereitstehende Fässchen und beginnt die Worte zu Papier zu bringen, die sie ohnehin schon im Kopf geformt hat. Einmal angefangen, geht es von Zeile zu Zeile flüssiger und schneller. Ja, es tut sogar gut den Kopf einmal mit etwas anderem zu beschäftigen als dem einen riesengroßen Problem in ihrem Leben.
Liebster Bruder,
welch seltsame Fügungen der HERR doch immer wieder für die seinen bereithält.
Wollte ich Dir ohnehin noch schreiben und Dir damit unsere wohlbehaltene Ankunft in Reutlingen mitteilen, so gibt es nun noch einen weiteren Grund für diesen Brief.
Doch ich will von vorne beginnen. Unsere Reise verlief vollkommen ruhig und ohne unliebsame Zwischenfälle. Einzig in Bayern erreichte uns der Wintereinfall und erschwerte uns das Vorankommen ein wenig. Die Mädchen waren ganz aus dem Häuschen ob der weißen Pracht und es gelang uns in Deggendorf einen Schlitten zu erwerben er hat ihnen die Reise versüßt.
Vor einigen Tagen erreichte mich ein Schreiben seiner Seligkeit. Sicherlich weißt du um dessen Inhalt? Zu allererst: Balthasar, ist es wahr? Ich zweifle die Worte des Patriarchen natürlich nicht an, aber hast Du unseren lieben Onkel gesehen? Stimmt es, dass sein Leib unversehrt ist? Welch ungeheures Wunder!
Seine Seligkeit lud mich vor das heilige Tribunal. Natürlich will ich dem nachkommen, doch wird es mir kaum möglich sein die Meinen hier allein zu lassen, um gleich wieder nach Hause zu reisen zumal der Winter uns trennen würde. Mein lieber Bruder, würdest Du mich dort vertreten? Ich werde seiner Seligkeit natürlich schreiben, doch ist diese Aussage von so großer Bedeutung, dass ein bloßer Brief in meinen Augen nicht ausreicht.
Denk doch nur, Onkel Graufang ein Heiliger. Bereits zu Lebzeiten war er dies in meinem Herzen und so erfüllt es mich mit großer Freude, dass dies womöglich wirklich eintritt.
So gerne würde ich mit Dir darüber sprechen, wer sollte mich in dieser Hinsicht verstehen, wenn nicht Du? Balthasar, mein Lieber, wäre es Dir möglich nach Reutlingen auf einen Besuch zu kommen? Diese Angelegenheit um unseren Onkel ist mir zu wichtig. Sei auf einige Tage bei mir und lass uns darüber reden. Reutlingen wird dir gefallen. Der Handel hier scheint beeinflusst von Augsburg und das Warenangebot ist mit den Märkten in der Steiermark nicht zu vergleichen. All diese Farben und Düfte. Stoffe, wie ich sie seit meinem Aufenthalt in Deiner Heimat nicht mehr sah. Ja, ich glaube Du wärst ähnlich begeistert wie ich.
Oh bitte Balthasar, folge dem Ruf Deiner Schwester. Eilst Du Dich, könnten wir die Geburt Aristoteles gemeinsam begehen. Natürlich nur um kleinen Kreis, denn in dieser Hinsicht möchte ich unseren Gastgeber keinesfalls vor den Kopf stoßen. Doch der HERR blickt sicherlich auf jeden der seinen Namen preist, sei seine Stimme auch noch so leise.
Verzeih, sicherlich suchst Du in all diesen Zeilen vergeblich nach dem, was Dich am meisten zu wissen drängt. Graham geht es ganz wunderbar. Sein lustiges Brabbeln und Glucksen erhellt unsere Tage und Noras liebstes Spiel ist es, ihm Dinge vor die Nase zu halten und darauf zu warten ob er sie erwischen kann.
Ich hoffe sehr darauf Dich bald in meine Arme schließen zu können und das Ende der Fastenzeit mit Dir begehen zu können. Gib mir bitte Nachricht.
Deine Rondra
Länger als erwartet ist er geworden, der Briefbogen ist eng beschrieben und Rondra selbst ein wenig verwundert. Was davon ist wahr und was grandios geschauspielert? Sie weiß es selbst nicht recht. Dieser Tage ist es schwierig die eigenen Gefühle zu erfassen, sie hat an ganz anderer Stelle damit aufgehört.
Längst neigt sich der Tag, es sind die wenigen ruhigen Stunden nach dem Abendessen. Das Papier wird gefaltet und gesiegelt, dann geht es hinüber in die Bibliothek. Kein Kelian. Also hinaus und in sein Zimmer, doch auch da ist seine Anwesenheit Fehlanzeige. Wo steckt er nur? Nach einigem Hin und Her findet der Brief seinen Platz auf seinem Schreibtisch, direkt neben seinem Schreiben. Er würde es schon finden.
Das erste Mal seit Wochen ist dem Weib nach frischer Luft. Lange hat sie sich in den Kneipen der Stadt nicht mehr blicken lassen. Zur Fastenzeit mag es auch unschicklich sein, aber das kümmert sie gerade weniger. Der Entschluss ist also schnell gefasst, für Rondra geht es heute Abend hinaus, vielleicht nicht unbedingt in die stadtbekanntesten Wirtshäuser, denn nach seichten und belanglosen Gesprächen ist ihr auch nicht gerade.
Die nächstbeste Magd erhält ein Handzeichen. »Meinen Umhang und meine Mütze bitte « kaum ist beides herangebracht, schlüpft der Blondschopf auch schon hinein. »Richte dem Herrn bitte aus, dass ich noch ein wenig hinaus gehe. Ich konnte ihn nicht finden.« Gesagt getan.
{Reutlingen Kaylis Gästehaus}
Einige Tage sind ins Land gezogen. Der Brief an den Bruder hat sich nicht von alleine geschrieben, seltsamerweise. Ach, sie weiß genau was sie schreiben und fragen möchte. Allerdings scheint Rondra manchmal wie gelähmt. Die Gedanken ein zäher Brei, der schwer zu durchwaten ist und kein Ziel kennt.
Es muss auch an der Jahreszeit liegen. Diese Düsternis kommt immer im tiefsten Winter. Vor zwei Jahren und letztes Jahr ebenfalls von den Jahren davor ganz zu schweigen. Langsam allerdings sollte sie sich daran machen, denn ansonsten müsste Balthasar sich gar nicht erst auf den Weg machen.
Lustlos greift das Weib also zur Feder, taucht sie in das bereitstehende Fässchen und beginnt die Worte zu Papier zu bringen, die sie ohnehin schon im Kopf geformt hat. Einmal angefangen, geht es von Zeile zu Zeile flüssiger und schneller. Ja, es tut sogar gut den Kopf einmal mit etwas anderem zu beschäftigen als dem einen riesengroßen Problem in ihrem Leben.
Liebster Bruder,
welch seltsame Fügungen der HERR doch immer wieder für die seinen bereithält.
Wollte ich Dir ohnehin noch schreiben und Dir damit unsere wohlbehaltene Ankunft in Reutlingen mitteilen, so gibt es nun noch einen weiteren Grund für diesen Brief.
Doch ich will von vorne beginnen. Unsere Reise verlief vollkommen ruhig und ohne unliebsame Zwischenfälle. Einzig in Bayern erreichte uns der Wintereinfall und erschwerte uns das Vorankommen ein wenig. Die Mädchen waren ganz aus dem Häuschen ob der weißen Pracht und es gelang uns in Deggendorf einen Schlitten zu erwerben er hat ihnen die Reise versüßt.
Vor einigen Tagen erreichte mich ein Schreiben seiner Seligkeit. Sicherlich weißt du um dessen Inhalt? Zu allererst: Balthasar, ist es wahr? Ich zweifle die Worte des Patriarchen natürlich nicht an, aber hast Du unseren lieben Onkel gesehen? Stimmt es, dass sein Leib unversehrt ist? Welch ungeheures Wunder!
Seine Seligkeit lud mich vor das heilige Tribunal. Natürlich will ich dem nachkommen, doch wird es mir kaum möglich sein die Meinen hier allein zu lassen, um gleich wieder nach Hause zu reisen zumal der Winter uns trennen würde. Mein lieber Bruder, würdest Du mich dort vertreten? Ich werde seiner Seligkeit natürlich schreiben, doch ist diese Aussage von so großer Bedeutung, dass ein bloßer Brief in meinen Augen nicht ausreicht.
Denk doch nur, Onkel Graufang ein Heiliger. Bereits zu Lebzeiten war er dies in meinem Herzen und so erfüllt es mich mit großer Freude, dass dies womöglich wirklich eintritt.
So gerne würde ich mit Dir darüber sprechen, wer sollte mich in dieser Hinsicht verstehen, wenn nicht Du? Balthasar, mein Lieber, wäre es Dir möglich nach Reutlingen auf einen Besuch zu kommen? Diese Angelegenheit um unseren Onkel ist mir zu wichtig. Sei auf einige Tage bei mir und lass uns darüber reden. Reutlingen wird dir gefallen. Der Handel hier scheint beeinflusst von Augsburg und das Warenangebot ist mit den Märkten in der Steiermark nicht zu vergleichen. All diese Farben und Düfte. Stoffe, wie ich sie seit meinem Aufenthalt in Deiner Heimat nicht mehr sah. Ja, ich glaube Du wärst ähnlich begeistert wie ich.
Oh bitte Balthasar, folge dem Ruf Deiner Schwester. Eilst Du Dich, könnten wir die Geburt Aristoteles gemeinsam begehen. Natürlich nur um kleinen Kreis, denn in dieser Hinsicht möchte ich unseren Gastgeber keinesfalls vor den Kopf stoßen. Doch der HERR blickt sicherlich auf jeden der seinen Namen preist, sei seine Stimme auch noch so leise.
Verzeih, sicherlich suchst Du in all diesen Zeilen vergeblich nach dem, was Dich am meisten zu wissen drängt. Graham geht es ganz wunderbar. Sein lustiges Brabbeln und Glucksen erhellt unsere Tage und Noras liebstes Spiel ist es, ihm Dinge vor die Nase zu halten und darauf zu warten ob er sie erwischen kann.
Ich hoffe sehr darauf Dich bald in meine Arme schließen zu können und das Ende der Fastenzeit mit Dir begehen zu können. Gib mir bitte Nachricht.
Deine Rondra
Länger als erwartet ist er geworden, der Briefbogen ist eng beschrieben und Rondra selbst ein wenig verwundert. Was davon ist wahr und was grandios geschauspielert? Sie weiß es selbst nicht recht. Dieser Tage ist es schwierig die eigenen Gefühle zu erfassen, sie hat an ganz anderer Stelle damit aufgehört.
Längst neigt sich der Tag, es sind die wenigen ruhigen Stunden nach dem Abendessen. Das Papier wird gefaltet und gesiegelt, dann geht es hinüber in die Bibliothek. Kein Kelian. Also hinaus und in sein Zimmer, doch auch da ist seine Anwesenheit Fehlanzeige. Wo steckt er nur? Nach einigem Hin und Her findet der Brief seinen Platz auf seinem Schreibtisch, direkt neben seinem Schreiben. Er würde es schon finden.
Das erste Mal seit Wochen ist dem Weib nach frischer Luft. Lange hat sie sich in den Kneipen der Stadt nicht mehr blicken lassen. Zur Fastenzeit mag es auch unschicklich sein, aber das kümmert sie gerade weniger. Der Entschluss ist also schnell gefasst, für Rondra geht es heute Abend hinaus, vielleicht nicht unbedingt in die stadtbekanntesten Wirtshäuser, denn nach seichten und belanglosen Gesprächen ist ihr auch nicht gerade.
Die nächstbeste Magd erhält ein Handzeichen. »Meinen Umhang und meine Mütze bitte « kaum ist beides herangebracht, schlüpft der Blondschopf auch schon hinein. »Richte dem Herrn bitte aus, dass ich noch ein wenig hinaus gehe. Ich konnte ihn nicht finden.« Gesagt getan.
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