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Traumjagd

Amaalia
Prolog

Hartung 1463

Es war eine lange Zeit. Viel zu lange? Oder gerade lange genug, um wieder bereit zu sein, für das Leben da draußen. Etwas ängstlich und verunsichert durchschritt Amaalia das Klostertor. Hier lebte sie zuletzt über drei Jahre. Oder waren es vier? Sie wusste es nicht genau. Im Grunde wusste sie noch viel zu wenig.

Die Klosterschwestern hatten ihr alles erzählt, was sie selbst wussten. Amaalia wurde vor einigen Jahren zu ihnen ins Kloster gebracht. Sie war Bürgermeisterin zu Freising, jedenfalls erzählte man ihr das. Eines Tages musste sie bewusstlos im Rathaus gelegen haben- hinter verschlossenen Türen. Wie es dazu kam konnte bis dato niemand mehr nachvollziehen. Jedenfalls hatte sie keine sichtbaren Verletzungen. Von den Schwestern erfuhr Amaalia nur, dass das bayrische Banner die schwere Rathaustüre aufbrechen musste und sie dann ins Kloster gebracht wurde.

Hier wurde sie wieder gesund gepflegt. Mit der Zeit kamen auch bruchstückhaft die Erinnerungen zurück. Mancher Name fiel ihr wieder ein und manche Begebenheit ebenso. Viel zu viel blieb aber hinter einem dichten Nebel verborgen.

Als sie sich bereit fühlte, verließ sie an einem kalten Januarmorgen im Jahre 1463 das Kloster. Sie wusste gerade einmal etwas mehr, als ihren Namen und dass sie nach Freising gehen musste. Kaum dort angekommen, wurde sie von alten Freunden erkannt und begrüßt. Die Freude schien echt, und mit jeder Minute, die sie mit den alten Bekannten verbrachte, kamen die Erinnerungen wieder. Sie erzählten ihr von früher. Davon, dass Mad und Sueba sie einst adoptiert hatten und dass sie einmal in Memmingen, Buchen und Regensburg lebte. Viele amtliche Dinge konnte sie in Archiven wiederfinden. Dort stand zum Beispiel, dass sie getauft war und die Ausbildung zur Hebamme bestanden hatte.
Manches klang so fremd für sie, als wäre es die Geschichte einer anderen Person. So ging es ihr mit der Tatsache, dass sie vor den Geschehnissen von vor vier Jahren verlobt gewesen sein soll. Sie konnte sich schlicht nicht mehr daran erinnern. Die Neugierde zwang sie, dem ihr nun fremden Mann einen Brief zu schreiben. Dieser wurde allerdings nie beantwortet. Also hakte sie das Thema ab und widmete sich anderen Dingen.

Eines Abends geschah etwas in einem Wirtshaus. Es war gut besucht und aus einer Bierlaune heraus fragte einer der Gäste sie, ob sie nicht mal einen Schwank aus ihrer Jugend erzählen wolle. Sie überlegte krampfhaft, auch wenn sie wusste, es hätte keinen Sinn. Der Nebel würde sich auch dieses mal nicht lichten. Doch sie fasste einen Entschluss. Sie wollte nicht mehr der Vergangeneheit hinterherrennen und krampfhaft versuchen, sich zu erinnern. Sie wollte ab nun der Zukunft entgegengehen, neue Erlebnisse und Erfahrungen sammeln und sich nebenbei über alles freuen, was ihr aus ihrer Vergangenheit wieder einfallen würde.

Doch all die guten Vorsätze galten nichts mehr, als Amaalia begann, wirre Dinge zu träumen. Genau genommen begann das in der Nacht, als sie einer neugewonnenen Freundin dabei half, sich aus einer schier ausweglosen Situation zu befreien. Einer ihrer Gefährten warf sie im Getummel um, so dass sie hart mit dem Kopf auf den Boden fiel. Seither war es, als würde sich jede Nacht eine Tür in die Vergangenheit einen Spalt breit öffnen. Dummerweise konnte sie sich hinterher nie an die Träume erinnern. Es blieb nur stets das Gefühl, sie hätte die Situationen aus dem Traum schon einmal miterlebt.

Sie nahm sich vor, es vorerst niemandem zu erzählen. Zu unbestimmt war das, was sie aus den Träumen in den Wachzustand hinüberretten konnte. Niemand würde sie ernst nehmen und vielleicht würde man sie sogar auslachen, weil sie diesen Träumen hinterherjagte.
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Amaalia


Blonde, vom Schlaf unordentliche Zöpfe, rote Bäckchen und ein Gesicht wie ein Püppchen. Das kleine Mädchen war vielleicht 6 Jahre alt und rief aufgeregt: „Warum hat mich denn keiner aufgeweckt?“ Die dicke Amme versuchte noch, das Kind aufzuhalten, aber es war zu flink, sprang aus dem Bett und verschwand aus dem Raum, einen dunklen Gang entlang und dann die breite Treppe hinunter, die geradewegs zu dem Saal führte. Normalerweise stank es dort zu so früher Stunde, denn hier nächtigte ein großer Teil des Gesindels, zusammen mit Hunden, ein paar Hühnern, Ziegen und ganz gewiss der ein oder anderen Ratte. Heute war aber alles anders. Die Fensterläden waren geöffnet, um Luft und Licht hereinzulassen. Der Saal war bereits gefegt und frisches Stroh wurde ausgestreut. Dazu kamen duftende Kräuter.

Auf dem Hof waren alle sehr beschäftigt. Die kleine rannte zick zack um die vielen Handwerker, Mägde und Knappen, die alle ihrer Arbeit nachgingen. Ein Knecht stolperte gar ihretwegen, beim Versuch, ihr aus dem Weg zu gehen und ließ dabei einen vollen Eimer Wasser fallen. Das blonde Mädchen aber rannte nur kichernd weiter, machte einen weiten Bogen um ein paar Soldaten und erreichte dann das untere Torhaus der kleinen Trutzburg.

Ohne Halt zu machen stapfte sie die steile Stiege hinauf, wo der alte Olaf Dienst hatte. „Sind sie schon da? Kannst du schon etwas sehen?“ Die Mauer war zu hoch, selbst auf Zehenspitzen stehend konnte sie nicht über die Brüstung sehen. Sie Hüpfte aufgeregt auf der Stelle, doch es war vergebens „Hebe mich hoch!“ befahl sie mit ihrer dünnen Kinderstimme. Olaf konnte darüber nur grinsen und tat wie ihm befohlen. Sie strengte sich an und suchte den Horizont mit ihren Augen ab. Nichts. „Die kommen erst später. Geht euch erst einmal anziehen, ehe euch eure Mutter so sieht und einen hysterischen Anfall bekommt“ Dann stellte er sie lachend auf den Boden zurück.

Die kleine verschränkte die Arme vor der Brust und schob schmollend die Unterlippe nach vorne. Gerade wollte sie laut protestieren und ihm vorwerfen, er würde in die falsche Richtung schauen, da erklang die Stimme der Amme aus der Ferne „AMAALIA HENRIETTA!“ Genervt verdrehte das Kind die Augen und stampfte wütend mit dem nackten Füßchen. „Wo steckt dieses Kind nur?“ Die schrille Stimme schien nun am Fuß der Stiege angekommen zu sein. „Kommst du herunter oder muss sich deine arme, alte Amme erst hinauf quälen?“

Das lustige Spiel war aus, sie musste sich ergeben und stampfte trotzig die Treppe hinunter „Jahaa… Ich komme ja schon, Amme“ Diese stand schnaufend vor der niedrigen Türe, die Hände in die Seiten gestemmt und ihr Gesichtsausdruck sprach für sich. Die Kleine konnte sich denken, was jetzt kommen würde, also schaute sie nur zu Boden und ertrug die Schelte, ohne aber wirklich zuzuhören „Was sollen denn unsere Gäste von uns denken, wenn die jüngste Tochter des Burgherren barfuß und im Nachtkleid durch die Burg rennt und die Hühner deswegen vor Schreck schlechte Eier legen?“

Sie nahm die kleine unsanft am Unterarm und schritt schwerfällig wieder zur Hauptburg hinauf. Das Kind trottete hinterher. „Jetzt kommst du erst einmal in den Zuber und danach isst du artig deinen Hirsebrei“

Unter Protest des zappelnden Kindes gelangten sie in einen kleinen Raum, in dem der Zuber für die Familienmitglieder des Burgherren bereitstand. Nur wenn ein großer Feiertag anstand, wurde ein Vollbad genommen. Heute war aber weder Allerheiligen, noch Ostern oder Heiligabend. Dennoch war dieser Tag wichtig genug, um Wasser und Feuerholz für ein Bad aufzuwenden. Das Mädchen wurde unter strenger Aufsicht der Amme von einer Dienstmagd entkleidet, in den warmen Zuber gesteckt und dann ordentlich von Kopf bis Fuß abgeschrubbt. Als die unangenehme Tortur endlich vorbei war, nahm die Magd einen Eimer, der neben dem Zuber stand. Das Mädchen wusste aus Erfahrung, dass dieses Wasser bereits wieder erkaltet war und kniff die Augen fest zusammen. Dann ergoss sich das kalte Nasse über sie…


Erschrocken saß Amaalia in ihrem Bett. Das ganze Schlafstatt war durcheinander, die Laken und Decken lagen nicht mehr dort, wo sie liegen sollten. Sie tastete Haare und Kleider ab, um zu überprüfen, ob sie nass waren. Doch alles schien trocken zu sein. Dann fiel ihr ein, dass sie etwas geträumt hatte. In dem Moment aber vergaß sie schon wieder den Inhalt des Traumes. So war es in den letzten Wochen häufig. Sie wusste, sie träumte komplexe Handlungen, sobald sie aber daraus erwachte, waren alle Einzelheiten wie weggeblasen. Es war zum Verzweifeln.

Sie legte sich noch einmal hin und schloss die Augen. Wenn sie einfach ignorierte, dass sie aufgewacht war, würde der Traum vielleicht zurück kommen? Dieses Mal würde sie sich vornehmen, sich alles zu merken. Doch Träume ließen sich nicht austricksen und so sehr sie sich auch bemühte, die Erinnerung daran kam nicht zurück. Nur etwas klang in ihren Ohren nach. Es war wie ein wütender Ausruf. Ein Name. Ihr Name? Amaalia Henrietta. Wie kam sie nur auf diesen Zweitnamen? Diese Frage würde sie noch eine ganze Weile beschäftigen.
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Amaalia
Freising ist toll Das waren Amaalias Gedanken, als sie die Treppe zu den Gästezimmern erklomm. Vielleicht sollte sie sich doch darum kümmern, ihr Haus endlich einzurichten. Auf Dauer war es kein Zustand, in dem kleinen Zimmer der Rose zur Miete zu wohnen.
Müde aber zufrieden machte sie sich bettfertig. Würde sie heute wohl wieder diese seltsamen Dinge träumen? Ach wenn sie sich doch hinterher nur daran erinnern könnte. Sie überlegte noch eine Weile, woher sie den Namen Henrietta kannte und warum ihr dieser heute Morgen in den Sinn kam, dann schlief sie auch schon ein.



Lachen, Musik und Stimmengewirr. Die kleine Amaalia war begeistert. Noch nie hatte man auf dieser Burg so ein rauschendes Fest gefeiert. Dessen war sie sich ganz sicher. Es war eine willkommene Abwechslung, denn sie konnte sich beinahe unbemerkt an die fremden Ritter schleichen und ihnen zuhören, wie sie laut und betrunken von ihren Heldentaten berichteten. Sie sprachen von fernen Ländern, schönen Jungfern und spannenden Abenteuern. In ihrer kindlichen Vorstellung waren diese tapferen Männer alle unbesiegbar und vielleicht sogar unsterblich.

Sie saß gerade hinter zwei besonders betrunkenen Rittern, die sich mit ihren Geschichten überboten. Da fiel ihr Blick auf ihre älteste Schwester, die mit ihrer Mutter zu diskutieren schien. Amaalia stutzte und betrachtete ihre Mutter. Sie sah sehr müde aus. Vater sagte stets, sie sei die schönste Frau auf der weiten Welt. Und Amaalia wäre das genaue Ebenbild ihrer Mutter. Anders als die beiden älteren Schwestern hatte sie die zierliche Statur, die feinen Gesichtszüge und die hellen Haare der Mutter geerbt. Margarethe und Elisabeth kamen ganz nach dem Vater. Er war ein sehr großer Mann mit dunklen Haaren und markanten Gesichtszügen. Beide Schwestern waren viele Jahre älter als Amaalia, die als Nachzüglerin von ihrem Vater verwöhnt wurde.

Margarethe rannte die Treppe hinauf und ließ eine offensichtlich fassungslose Mutter zurück. Doch das Fest ist doch noch gar nicht zu Ende? Amaalias Blick suchte den Vater. Auch er schien die Szene beobachtet zu haben und erhob sich. Mit großen Schritten ging er zur Treppe, sagte seiner Frau ein paar Worte im Vorbeigehen und hastete dann wütend hinauf. Die Mutter schaute sich verzweifelt im Saal um. Für einen kurzen Moment traf ihr Blick den des kleinen Mädchens. Dann ging sie so schnell es sich für die Burgdame gebührte, hinauf, um Vater und Tochter zu folgen.

Amaalia war neugierig. Was ging hier vor sich? Sie würden noch das ganze schöne Fest verpassen. Also nahm sie sich vor, ihnen hinterher zu gehen. Was konnte ausgerechnet heute so wichtig sein? Mit ihrem grünen Festtagskleid konnte sie nicht besonders schnell die Treppe hochlaufen. Also nahm sie die Röcke in die Hand und lief geschwind nach oben. Insgeheim betete sie, die Amme würde das nicht sehen, doch war diese sicher in der Küche, um von den vielen besonderen Köstlichkeiten zu naschen, die es sonst auf der Burg nur sehr selten gab.

Oben konnte sie schon den Vater poltern hören. Er klang wütend, die Schwester weinte laut und bettelte den Vater an „Oh bitte Vater, hab doch ein Einsehen. Das darfst du nicht von mir verlangen!“ Sie hörte ein lautes Klatschen, dann einen schrillen Aufschrei und gleich darauf die tiefe Stimme des Vaters, die bedrohlich lauter und lauter wurde „Was ich darf entscheide ich! Du wirst meine Entscheidung hinnehmen, oder es Gnade dir Gott! Und wenn ich jetzt noch ein Wort höre, dann…“ „Amaalia Henrietta! Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht an Türen lauschen?“ Erschrocken fuhr die kleine herum und sah die dicke Amme leicht betrunken auf sich zukommen. Nicht ausgerechnet die! Und nicht ausgerechnet jetzt! Nun konnte sie nicht mehr hören, was in dem Raum vor sich ging. Schlimmer noch: Die Amme war dazu fähig, sie zur Strafe gleich ins Bett zu stecken und sie von dem fröhlichen Fest zu verbannen. Das Mädchen sah nur einen Ausweg, auch wenn sie diesen spätestens am nächsten Tag bereuen wird: die Flucht nach vorne. Sie raffte die Röcke und rannte los, an der verdutzten Amme vorbei und wieder die Treppe hinunter. Unten im Saal versteckte sie sich in einem Fenstererker, hinter einem dicken Vorhang. Das Versteck war gut. Die Amme würde sie nicht finden und sie hätte weiterhin die Möglichkeit, das Fest und das Geschehen zu beobachten.

Nach einiger Zeit kam der Vater zusammen mit der Mutter die Treppe hinunter. Er schien sehr ernst. Wer die Mutter nicht kannte, konnte meinen, sie schaue allenfalls etwas distanziert, so wie es sich für eine Dame ihres Standes eben gehörte. Doch Amaalia wusste, was in ihr vorging und erkannte die Trauer in ihrem Blick.
Dann bemerkte sie die Schwester, die zusammen mit der Amme die Treppe hinunterkam. Bildete sie sich das nur ein oder war ihre linke Wange gerötet? Sie wirkte jedenfalls sehr traurig und nachdenklich, als sie sich neben die Mutter an die große Tafel setzte. Der Vater würdigte sie keines Blickes mehr.

„Was machst du denn hier?“ Amaalia schaute zur Seite. Die zweitälteste Schwester Elisabeth stand plötzlich neben ihr. Das Versteck war vielleicht doch nicht so gut, wie sie dachte. Elisa wirkte blass. Aber das tat sie immer. Sie war stets etwas distanziert und wirkte manchmal abwesend und müde. Sie war sieben Jahre älter als Amaalia und nicht einmal ein Jahr jünger, als die älteste Schwester Margarethe. Amaalia beschloss, ihr zu erzählen, was sie gehört hatte „Grethe hatte Ärger mit Vater. Hast du eine Ahnung, warum Vater auf sie wütend sein könnte?“ Elisabeth schaute die Kleine amüsiert lächelnd an. „Du hast keine Ahnung, was wir hier für ein Fest feiern, oder?“ Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging kichernd davon „Was meinst du?“ rief ihr das Mädchen hinterher, doch das ging in der Lautstärke völlig unter und sie wollte ihr Versteck nicht aufgeben, um nicht von der Amme entdeckt zu werden. Was aber meinte sie?

Sie zog sich weiter zurück in den Erker und überlegte. Elisa hatte recht. Sie hatte sich so auf den Besuch und das Fest gefreut, dass ihr der Grund dafür völlig egal war. Ihr Blick fiel auf Margarethe, die wie ein Häufchen Elend neben der Mutter saß. Dabei sah sie heute so hübsch aus wie noch nie zuvor. Ihre Haare waren kunstvoll geflochten und sie hatte ein neues Kleid bekommen aus bestem Tuch aus einem weit entfernten Land. Amaalia hatte vor einigen Tagen deswegen noch eifersüchtig protestiert, wollte sie auch ein solches Kleid bekommen. Doch die Mutter erklärte ihr, dass Grethe jetzt eben so ein schönes Kleid brauchte, weil sie besonders hübsch aussehen sollte und der Vater versprach ihr, ein noch viel schöneres Kleid, aus noch kostbarerem Tuch. Da hatte sie sich beruhigt und nicht weiter nachgefragt.

Wie sie so die Schwester betrachtete und Geschehnisse und Worte der letzten Tage Revue passieren ließ, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie Sprang wie vom Blitz getroffen auf und schaute sich auf Zehenspitzen stehend um. Sie suchte dabei eine bestimmte Person, von der die Bediensteten die letzten Tage sehr oft gesprochen hatten. Und dann sah sie ihn. Sie erkannte ihn sofort, denn er war schon oft mit seinem Vater zu Besuch auf der Burg. Sie fand ihn immer etwas unsympathisch und auch heute wirkte er wieder wie ein eitler Geck mit seinen zu engen Beinkleidern und dem grün-roten Hemd. Er schaute in Elisas Richtung. Es war offensichtlich. Das dämliche Grinsen in seinem Gesicht sprach Bände.

Mit einem Mal mochte Amaalia das Fest nicht mehr. Sie wollte, dass die Menschen endlich die Burg verließen und dass alles ganz schnell vorbei war. Wie dumm war sie gewesen, nicht zu fragen, warum sie diesen Aufwand betrieben. Jetzt aber verstand sie, dass es die Verlobungsfeier ihrer Schwester mit dem trotteligen und oberflächlichen Linhart von Hohentropf war, auf die sie sich seit Tagen gefreut hatte.

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Amaalia
Amaalia hatte schlecht geschlafen. Viel zu früh wachte sie an diesem Morgen auf und versuchte noch lange, wieder in den Schlaf zu finden. Doch etwas hinderte sie daran. Vor dem inneren Auge sah sie eine Frau. Sie war zu weit weg, um sie genau erkennen zu können, doch es fühlte sich an, als würde Amaalia sie sehr gut kennen. Hatte sie von ihr geträumt? Wenn ja, wer war sie?

So konnte das nicht weiter gehen. Diese Träume mussten endlich fassbar gemacht werden. Amaalia ging zu einer Truhe, in der sie ihr wichtige Kleinigkeiten aufbewahrte, bis sie wieder in einem eigenen Haus wohnte. Zwischen verschiedenen kleinen Beuteln, Schächtelchen und allerlei Tand fand sie endlich das Gesuchte. Es war in ein leinenes Tuch eingeschlagen. Amaalia packte es aus und strich zärtlich über den ledernen Einband eines kleinen Büchleins. Auf der Vorderseite war eine Lilie eingeprägt und an der Seite war es mit zwei Lederbändern verschlossen. Sie nahm es im Kloster oft in die Hand und überlegte, woher sie das Buch wohl hatte. Doch auch das wusste sie nicht mehr.
Amaalia öffnete es. Die Pergamentseiten waren an den Rändern bereits etwas vergilbt, aber sie waren unbeschrieben. Nur auf der ersten Seite sah es so aus, als wäre dort bereits etwas gestanden und wieder weggekratzt worden. Lediglich der Name „Amaalia“ war in schwungvollen Lettern erkennbar. Was dort wohl vorher stand? Sie strich vorsichtig mit einem Finger über die aufgeraute Seite.

Nie wollte sie etwas hineinschreiben, bis sie wusste, woher sie es hatte. Doch nun entschied sie sich um. Dies war genau der richtige Zweck. Sie setzte sich an den Tisch unter dem kleinen Fenster und nahm die Schreibfeder zur Hand. Ab nun wollte sie alles aufschreiben, was ihr zu den Träumen noch einfallen würde. Als erstes schrieb sie aus einem Impuls heraus „Henrietta“ hinter ihren Namen. Doch wie sollte sie das Bild der Frau in ihrem Kopf festhalten? In der Lade des Tisches suchte sie nach einem Kohlestift und fand einen kleinen Stumpen. Mit ein paar zaghaften Strichen begann sie ein paar Konturen zu zeichnen. Sie war überrascht, wie einfach ihr das von der Hand ging und begann den Kohlestift unterschiedlich stark aufzudrücken, um verschiedene Effekte zu erwirken. Mit den Fingern verwischte sie an verschiedenen Stellen den Schatten. Amaalia war fasziniert, wie unter ihren Händen das Gesicht aus dem Traum entstand. Als sie glaubte, fertig zu sein, nahm sie das Büchlein in die Hand und hielt es mit ausgestreckten Armen von sich weg. Sie betrachtete das Bild und war enttäuscht. Es war eine gelungene Zeichnung, aber was sie vor sich sah, war ein genaues Abbild von sich selbst.

Frustriert klappte sie das Buch zu und ließ es achtlos auf dem Tisch liegen. Sie ging zum Waschtisch und machte sich fertig für den Tag.
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Amaalia


Amaalia genoss die warme Sommersonne, die ihre Nase kitzelte. Fröhlich saß sie auf dem braunen, sanftmütigen Zelter, den ihr der Vater von der letzten Reise mitgebracht hatte. Er hatte ihr gegen den Willen der Mutter erlaubt, auf dem Pferd zu reiten, anstatt in der Kutsche zu reisen. Vorbei waren nur leider die Zeiten, als sie noch wie ein Junge reiten durfte. Die Mutter hatte sich durchgesetzt und ihr einen kleinen Seitsattel anfertigen lassen. Das Mädchen war bereits sieben Jahre alt und sollte endlich als Dame erzogen werden. Schon bald würden sie ihre alte Amme entlassen und die Mutter würde sich selbst um ihre Erziehung kümmern. Der Vater hatte wehmütig zugestimmt, hatte er es ja immer genossen, mit ihr wild durch die Ländereien und Wälder zu reiten. Ihm fehlte einfach ein Sohn, den ihm seine Frau Mechthild nicht schenken konnte.
Vor Amaalia hatte sie zwei weitere Kinder bekommen. Die Amme hatte ihr von den Brüdern erzählt, die aber noch im Alter von wenigen Wochen verstarben. Niemand wusste warum, wirkten Karell und Heinrich eigentlich ziemlich proper und gesund. Nach Amaalia wurde die Mutter dann nie mehr schwanger.

Amaalia wusste, der Vater liebte seine Frau. Doch die Tatsache, dass sie keinen Sohn gebären konnte, der ihm ein Stammhalter sein würde, legte einen melancholischen Schleier über die Beziehung. Das Gesindel auf der Burg tratschte schon, es könne nicht mehr lange dauern und Herr Ulrich von Kohlscheid würde sich eine Konkubine nehmen, die ihm einen Sohn schenken sollte. Ein Bastardsohn war allemal besser, als gar kein Sohn. Doch der Vater war zu gottesfürchtig und blieb seiner Frau bislang treu, zumindest wenn er zu Hause weilte. Die Zeit aber verstrich und es würde nicht mehr lange dauern, dann musste eine Lösung gefunden werden. Mechthild von Kohlscheid hatte bald ein Alter erreicht, in dem Frauen nicht mehr zu gebären pflegten.

Die Reise war für die Erwachsenen beschwerlich, auch wenn es in der Geschwindigkeit nur ein Tagesritt war. Amaalia hörte, wie Elisa immer wieder jammerte, sie wolle endlich schlafen und die Kutsche würde zu arg ruckeln. Die Mutter sprach beruhigend auf sie ein, es wäre ja bald geschafft und sie müsse nur noch ein wenig aushalten, dann hätten sie die Götzburg erreicht. Elisa aber war nicht zu beruhigen. Sie war noch blasser als sonst und wirkte seit Tagen sehr schlapp und lustlos.

Die benachbarte Götzburg war das Ziel des kleinen Reisetrosses. Es war nun schon über ein Jahr her, das Margarethe mit dem Sohn des Grafen zu Hohentropf verheiratet wurde. Amaalia hatte nach jener Verlobungsfeier nie wieder ein Wort des Widerstandes von ihrer ältesten Schwester gehört. Sie wirkte auf sie wie gebrochen und immerzu traurig. Die Mutter meinte zufrieden, es wäre besser so, wenn sie sich ihrem Schicksal ergeben würde, wie sie es einst getan hatte. Eine Frau musste sich eben zum Wohle ihrer Familie fügen und die Vermählung mit dem zukünftigen Grafen von Hohentropf würde nur Vorteile für ihren Vater mit sich bringen.

Amaalia hatte keine Ahnung von solchen Dingen. Sie war nur traurig, weil Grethe Burg Wasserstein verlassen musste. Anders als Elisa war sie ihr wie eine gute Freundin und Vertraute. Oft hatte sie die kleine versteckt, wenn sie wieder einmal vor der Amme floh, die darauf bestehen wollte, dass das Kind nähen, sticken und zeichnen lernen sollte.

Amaalia hatte aber andere Vorlieben. Sie bekam Unterricht von einem weitgereisten geistlichen. Sein Wissen war schier unerschöpflich und er wusste zu jeder Frage eine spannende Antwort. Das Kind genoss jede Stunde des Unterrichts und hing an den Lippen des Lehrers. Von ihm lernte sie fremde Sprachen wie Latein, Französisch, Englisch und sogar etwas Arabisch. Elisabeth hatte dafür nur Spott übrig. Sie hatte von der Mutter gerade einmal Lesen und Schreiben gelernt und hatte sich wie Margarethe auf jene Dinge konzentriert, von denen die Mutter der Meinung war, eine künftige Dame des Hauses müsse es beherrschen. Dass die Jüngste sich mit solch unwichtigen Dingen die Zeit vertrieb, sah die Mutter mit Argwohn. In ihren Augen gehörte es sich nicht für eine Dame und sie sah bereits Probleme auf sie zukommen, sollte sie einmal einen Mann heiraten müssen, der weniger gebildet war. Der Vater aber war stolz auf sie und forderte den Hoflehrer auf, sie alles zu lehren, was sie zu wissen begehrte.

Von weitem konnte sie die Zinnen der Burg erkennen. Sie waren hier zuletzt, als dort das Hochzeitsfest stattfand. Nun war ihr kleiner Neffe Giselher geboren und sie reisten dorthin, um bei der Taufe dabei zu sein. Obwohl sie die Götzburg schon kannte, durchritt Amaalia das große Tor staunend mit offenem Mund.

Die Burganlage war beeindruckend. Sie war größer und moderner als die kleine, alte Trutzburg Amaalias Vaters. Götz von Hohentropf hatte sie vor einigen Jahren fertigstellen lassen. Den Grundstein legte noch sein Großvater, der alte Götz. Nun gab es hier große Ställe, Wohngebäude für das Gesindel, eine stolze Schmiede, ein großes Küchengebäude und einen beeindruckenden Burgfried.
Sie erreichten den großen Platz vor dem Hauptgebäude. Das Mädchen wurde von dem Pferd gehoben und die Familie schritt eine breite Treppe hinauf. Innen wurden sie sogleich vom Burgherren persönlich begrüßt. Doch dem Kind war das völlig zuwider. Sie wollte nur noch ihre Schwester sehen und zappelte ungeduldig neben ihrer Mutter herum. Die bedachte sie mit einem strengen Blick, was aber völlig wirkungslos blieb.
Das bemerkte Annemarie von Hohentropf, die Frau des Burgherren. „Das Kind ist ja ganz aufgeregt und will gewiss den kleinen Giselher bewundern.“ Sie schnipste eine der Mägde herbei, welche sie in die Privaträume der Frauen begleiten sollte.

Eine schwere Holztüre wurde geöffnet und Amaalia trat zaghaft hinein. Sie schaute sich um und war wie erschlagen von den kostbaren und verzierten Holzmöbeln. Ihr Blick blieb bei einem beeindruckenden Himmelbett hängen. Inmitten von flauschigen Federbetten erkannte sie das blasse aber lächelnde Gesicht von Margarethe.

Amaalia war durch nichts mehr zu halten. Sie rannte auf die große Schwester zu, warf sich halb auf das Bett, umarmte sie so fest sie konnte und weinte bittere Tränen in ihre Haare. Margarethe tätschelte ihren Rücken und flüsterte ihr leise tröstende Worte zu „Ist ja gut meine kleine Lia. Alles ist gut. Beruhige dich doch.“ Das zwischenzeitlich eine Frau nähergetreten ist, war ihr gar nicht aufgefallen. Sie setzte sich auf die Bettkante und wischte sich das tränennasse Gesicht mit dem Ärmel ab. Dann erst bemerkte sie, dass die Frau ihren kleinen Neffen auf dem Arm trug. Eben noch schniefte sie und zog die Nase hoch, dann aber schon jauchzte sie vor Freude „Oh nein wie süß! Darf ich ihn mal nehmen? Oh bitte gib ihn mir auf den Arm!“ Sie streckte die Arme nach ihm aus und die Amme gab ihn ihr vorsichtig. „Gott sei Dank, er kommt ganz nach unserem Vater und nicht nach Linhart“ „Kind!“ Erschrocken schaute sie zur Türe und wollte fast im Erdboden versinken. Mutter und die Burgdame waren in den Raum getreten und hatten ihren letzten Satz wohl gehört. Gleich danach kam auch Elisabeth herein, die ihr ein gehässiges aber zufriedenes Grinsen schenkte. Die Mittlere war immerzu eifersüchtig auf die Jüngste, weil sie die Lieblingstochter des Vaters war. Obwohl sie selbst der Liebling der Mutter war, nachdem Margarethe geheiratet hatte, wünschte sie sich offensichtlich die volle Aufmerksamkeit. Den Neffen betrachtete sie nur mit einem kurzen Blick und setzte sich dann in eine Ecke, auf einen Sessel, um sich auszuruhen. Die Amme nahm Amaalia das kleine Bündel ab, um es deren Mutter zu reichen. Mechthild von Kohlscheid lächelte zufrieden „Gut gemacht mein Kind. Ich bin wirklich stolz auf dich.“

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Am nächsten Morgen fand die Feier zur Taufe des kleinen Giselher von Hohentropf statt. Die Burgkapelle war gefüllt, die Luft war stickig und es roch nach zu viel Weihrauch. Viele wichtige Persönlichkeiten waren anwesend. Als der Pfarrer gerade fertig war und seinen Segen über die Gemeinde sprechen wollte kreischte neben Amaalia die Mutter laut auf. „Elisabeth!“ Amaalia drehte sich in die Richtung, in der gerade noch die Schwester stand. Sie lag ohnmächtig auf dem Boden, totenblass und völlig regungslos. Ulrich von Kohlscheid war in zwei kurzen Sätzen bei seiner Tochter, hob sie auf die Arme und eilte mit ihr hinaus, gefolgt von vielen anderen, die aufgeregt versuchten gleichzeitig durch die Flügeltüre zu kommen.


Wieder wurde sie viel zu früh wach. Sie war unruhig und müde, konnte aber nicht mehr schlafen. Draußen dämmerte es erst. Amaalia setzte sich an den Tisch und schaute aus dem Fenster. Innerlich war ein Gefühl von Unruhe geblieben. Sie nahm ihr Buch aus der Schublade und betrachtete bei kaltem Morgenlicht die erste Seite. Noch immer konnte sie sich keinen Reim aus diesem Namen machen. Sie blätterte um und schaute ihre Zeichnung an. Auch in diesem Traum hatte sie dieses Gesicht gesehen. Sie war sich ganz sicher. Und sie war sich sicher, dass es nicht sie selbst war. Es war nur wie ein Gefühl der Gewissheit.

Sie blätterte eine weitere Seite um und nahm die Feder zur Hand. Einen Moment überlegte sie, was sie schreiben sollte und begann dann:

Zitat:
Wer seid ihr?

    Giselher
    Linhard
    Elisabeth


Als die Tinte getrocknet war, klappte sie das Buch zu. Wo sie das nur hinführen könnte? Hatte es Sinn, das Wenige aus den Träumen aufzuschreiben? Was, wenn ihr das Gedächtnis einen Streich spielte und sie nur irgendwelchen Unsinn zusammen träumte, der gar nichts mit ihrer Vergangenheit zu tun hatte?
So saß sie noch lange grübelnd an dem Tisch und schaute dem Tag draußen zu, wie er langsam heller wurde.
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Amaalia


Amaalia verbrachte den Tag und die Nacht in Margarthes Zimmer. Man hatte ihr verboten, den Raum zu verlassen, sie solle nicht im Weg stehen. Aber sie machte sich Sorgen um Elisabeth, auch wenn sie ansonsten kein sehr inniges Verhältnis zueinander pflegten. Niemand konnte ihr etwas sagen. Hin und wieder schickte Margarethe ihre Bedienstete hinaus, um sich zu erkundigen. Doch auch sie kam jedes Mal kopfschüttelnd wieder herein. Auch die Magd, die das Abendbrot zu ihnen brachte, wusste nichts. „Lass mich doch einmal hinausgehen, Grethe. Man übersieht mich leicht, vielleicht kann ich ja etwas in Erfahrung bringen.“ „Sei nicht so ungeduldig, Lia. Götz hat einen sehr guten Leibarzt auf der Burg. Er untersucht Elisa und kümmert sich um sie.“

Doch das konnte Amaalia nicht beruhigen. Die Amme schimpfte immer über die Herren der Medizin. Sie war der Meinung, es währe Teufelswerk und man hätte gehört, dass mancher Medicus eine Erkrankung erst noch verschlimmerte. Amaalias Amme war Kräuterkundige und konnte kleinere Leiden mit getrockneten Kräutern in Form von Tees und Umschlägen lindern und heilen. Leider war sie aber auf der heimischen Burg geblieben, war man ja der Meinung, Amaalia bräuchte auf dieser kurzen Reise keine Aufsichtsperson. Das Kind wünschte sich die Amme her, denn sie war sich sicher, sie wüsste, was zu tun sei. „Lass uns nach Martha schicken!“ Die große Schwester lächelte sanft „Vermisst du deine Amme, kleine Lia?“ „Nein!“ Amaalia wurde zornig. Sie mochte es nicht, wenn man sie wie ein kleines Kind behandelte. „Dieser Medicus macht bestimmt alles noch schlimmer. Lass uns Martha holen. Sie hat viele Kräuter und weiß, was gegen Bauchschmerzen hilft.“ „Sei nicht so naiv, Lia. Elisa ist ernsthaft krank und hat nicht einfach nur Bauchschmerzen. Ihr wird kein Tee der Welt helfen. Wir sollten auf den Medicus vertrauen.“ Margarethe drehte sich um und ging zur Wiege des kleinen Giselhers. Amaalia wusste, dass sie nun nicht weiter reden sollte. Trotzig stampfte sie mit dem Fuß auf. Warum wurde sie nicht ernst genommen. Sie war immerhin schon sieben Jahre alt.

Grethe war mit ihrem Kind beschäftigt. Dessen Amme war erschöpft in einem Sessel eingeschlafen. Kurzentschlossen machte das Mädchen auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum leise. Es gab jetzt nur eine Möglichkeit. Sie riskierte nicht mehr, als geschimpft zu werden. Vielleicht würde ihr Mutter dafür das Pferd wegnehmen lassen, aber es war ihr egal. Sie eilte durch die Gänge und eine Treppe hinauf. Von einer Magd hatte sie gehört, dass man Elisabeth in das Schlafzimmer der Burgherrin gebracht hatte. Oben angelangt verlangsamte sich ihr Schritt. Sie sah den Vater nervös auf und ab schreiten. Die Mutter war nicht zu sehen. Welch Glück. „Vater!“ sie rannte auf ihn zu und warf sich in seine Arme. „Wie geht es Elisabeth?“ „Du solltest nicht hier sein, Amaalia“ sagte der Vater, betont streng. „Der Medicus meint, Elisa leide an einem Überschuss schwarzer Galle. Wir sind nicht sicher, was das ausgelöst hat, doch solltest du nun wieder zu Margarethe gehen.“ Amaalia legte den Kopf schief und blickte den Vater ernst an „Lass uns Martha holen. Sie kennt sich mir Kräutern aus“ Ulrich von Kohlscheid schob seine Tochter sanft aber bestimmt von sich „Es ist nun nicht die richtige Zeit für Kräuterweiber. Und nun geh zurück zu Margarethe. Ich dulde keinen Widerspruch!“ Sein Blick und seine Stimme verrieten, dass sie besser schwieg. Mit gesenktem Kopf sagte sie „Ja Vater.“ und drehte sich um, um geknickt zurück zur ältesten Schwester zu gehen. Diese schien schon auf sie gewartet zu haben, denn sie saß aufrecht mit einer Stickerei auf einem Stuhl, ohne aber mit ihrer Arbeit beschäftigt zu sein. „Vater scheint von deiner Idee auch nichts zu halten“ bemerkte sie leise. Amaalia setzte sich stumm neben sie. Es war zum Haareraufen.

Es wurde später und später. Als die Müdigkeit sie zu übermannen schien, legte sie sich mit der großen Schwester in das Bett. Margarethe umarmte die kleine und sang ihr ein leises Wiegenlied vor. Das Mädchen schloss die Augen und flüsterte „Es ist wie früher, als du noch bei uns gelebt hast. Ich kam nachts zu dir ins Bett und du hast mir immer dieses Lied vorgesungen.“ "Nichts bleibt, wie es war, kleine Lia. Auch wenn wir uns noch so sehr dagegen wehren, es ist unaufhaltsam“ Es klang Wehmut mit in ihrer Stimme. Amaalia überlegte, ob sie sehr unglücklich war, sprach die Gedanken aber nicht aus. „Aber eines muss ich schon sagen…“ Sie lächelte mit geschlossenen Augen und fügte schalkhaft hinzu “Die Betten sind um einiges weicher und bequemer, als auf Vaters Burg.“ Grethe kicherte leise und zwickte Amaalia sanft in die Seite. Dann schliefen beide ein.

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Die Türe wurde laut zugeschlagen, Amaalia war plötzlich hellwach und setzte sich auf. Eine Dienstmagd öffnete gerade die Fensterläden. Margarethe war schon aufgestanden und hielt ihren Sohn im Arm. An der Türe stand mit dem Rücken zu ihr eine nur allzu bekannte Person. Amaalia rieb sich die Augen. „Kann das wahr sein? Amme? Amme!“ Mit einem Satz war sie aus dem Bett gesprungen und rannte auf die dicke Amme zu. Die drehte sich um und öffnete die Arme, um das Mädchen aufzufangen. „Grethe hat nach mir schicken lassen. Der Kutscher hat mich bei Nacht und Nebel hierher gebracht.“ Beide schauten zu Grethe, die breit lächelte. „Ich hab es mir gestern anders überlegt. Du hast Recht, Lia. Wir sollten es wenigstens versuchen. Es gilt nur, Vater und Mutter zu überzeugen, dass Martha mehr Ahnung hat, als der Medicus.“ „Ach was. Das lasst ganz meine Sorge sein. Ich wasche mir geschwind den Reisestaub ab, dann lasst ihr mich zu Elisabeth bringen.“ sagte sie und trat an den Waschtisch.

Eine Bedienstete brachte die Amme hinauf. Amaalia und Grethe fürchteten den Zorn des Vaters, der sich am Vorabend unmissverständlich ausgedrückt hatte. Doch das Mädchen war sich sicher, dass sich die resolute Amme wird durchsetzen können.

Nach bangen Stunden des Wartens kam sie dann endlich wieder. Sie wirkte erschöpft und ließ sich müde auf den Sessel plumpsen. Amaalia belagerte sie sogleich und fragte sie aufgeregt tausend Fragen. Die Amme aber winkte nur ab. „Es ist sinnlos“ „Oh nein! So sprich doch Amme. Was ist geschehen?“ „Wenn ich nicht augenblicklich etws zu Essen bekomme, dann klappe ich noch zusammen oder falle von Fleisch.“ Margarethe hörte das und schickte sogleich ihre Bedienstete in die Küche, der Amme ein Mahl zu richten. Es dauerte eine Weile, bis das Essen gebracht wurde und es war sinnlos, die erschöpfte Frau noch etwas zu fragen. Als sie aufgegessen hatte, atmete sie tief durch und ließ sich in den Stuhl zurücksinken. „Diese selbsternannten Männer der Medizin gehören allesamt aufgehängt.“ Margarethe und Amaalia hörten gespannt zu „Sie haben den Raum völlig abgeschottet von Licht und frischer Luft. Die arme Elisabeth wurde mehrfach zur Ader gelassen und sollte mit nassen Leintüchern eingewickelt werden. Den letzten Aderlass konnte ich verhindern, Gott seis gedankt. Wer weiß, was sonst geschehen wäre, das Kind ist ja bereits völlig entkräftet von dieser Prozedur. Ich habe den Medicus dann so beschimpft, dass er beleidigt von dannen zog. Er hat geschworen, er würde seinen Dienst quittieren, würde ich ihm noch einmal über den Weg laufen. Als er endlich weg war, ließ ich die Fensterläden öffnen und einen Tee für Elisa zubereiten. Jeder der ein wenig Ahnung hat, weiß doch, dass Pfefferminze gegen schwarze Galle wirkt. Natürlich mischte ich auch ein wenig Estragon, Salbei, Johanneskraut und andere Kräuter dazu.“ „Und nun?“ Amaalia konnte die Aufregung nicht mehr ertragen „Wie geht es Elisabeth?“ „Sie ist sehr schwach. Ich habe sie mit Fleischbrühe gefüttert und ihr den Tee eingeflößt. Elisabeth war immer schon sehr schwach und melancholisch. Der Arzt mag ja recht haben mit der Vermutung, sie hätte zu viel schwarze Galle. Doch wenn er ihr das ganze Blut abzapft, stirbt sie an Blutverlust und sonst nichts.“

Amaalia war erleichtert. Sie war der Amme sehr dankbar, dass sie so schnell gekommen war und noch mehr dankte sie Margarethe, die sie doch ernst genommen hatte und die nach ihr schicken ließ. Elisabeth würde sich erholen können.



Es wurde zum allmorgendlichen Ritual. Amaalia stand auf und setzte sich sogleich an den Tisch. Das kühle Licht des frühen Morgens beleuchtete nur schwerlich die Seiten des kleinen Büchleins. Doch je schneller sie zu Pergament brachte, was sie aus dem Traum noch wusste, desto besser.
Es war, als würden sich ihre Finger erinnern. Sie ließ sich, ohne groß nachzudenken, einfach von ihrem Gefühl leiten. So war es an diesem Morgen ein Lied, welches sie in ihrem Büchlein festhielt.


Zitat:
Schlaf mein kleiner Liebling ein! 
Draußen fällt der Regen. 
Mutter schaukelt 's Wiegelein - 
ist ja schon so alt wie Stein. 
Träum durch den Nebel, dem Tage entgegen! 

Überall herrscht Dunkelheit. - 
Schwer meine Gedanken. 
Schwarzer Sand - wie vor der Zeit - 
decket unsre Ängstlichkeit. 
Die Gletscherspalten uns weisen die Schranken. 

Schlafe endlich nun, schlaf ein! 
Bald schon ist es Morgen. 
Träume auch den Wassern zu! 
Väter schirmen unsre Ruh. 
Ihr ew’ges Sehnen: Sich um uns zu sorgen.


Sie ertappte sich, wie sie beim Lesen die Melodie leise mitsummte. Woher sie das Wiegenlied kannte war ihr aber wieder einmal schleierhaft.
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Amaalia
Es war wie verhext. Seit Tagen hatte sie nichts mehr geträumt. Zumindest nicht wie zuvor. Es lag wohl an der Tatsache, dass sie sich auf Reisen befand. Jeden Tag eine andere Herberge, ein anderes, unbequemes Bett. Trotz der anstrengenden Reise quälte sie sich abends in den Schlaf.

Es waren wirre, surreale Träume. Anna spielte darin eine Rolle und ein Mann mit einer Kapuze. Es sah aus, als würden sie miteinander in einer endlosen, dunklen Gase kämpfen. Dann standen sie eng umschlungen da und es wirkte vielmehr wie ein Tanz. Ein Todeskampf?
Doch dann verschwand alles in einem dichten Nebel. Nichts war mehr zu sehen. Sie versuchte sich im Traum davon wegzubewegen, doch der Nebel wurde nur noch dichter, bis er sich um sie schloss wie ein Raum ohne Fenster und Türen. In diesem Raum saß auch plötzlich Gary. Er schien mit seiner Pfeife der Ursprung für den Nebel zu sein. Er stand grinsend auf und hatte mehrere Wurfmesser in der Hand. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht holte er jäh aus und warf alle Messer gleichzeitig auf Amaalia. Sie zuckte zusammen und schloss panisch die Augen. Rings um sie herum hörte sie gleichzeitig die Messer einschlagen. Sie trat einen Schritt zurück und drehte sich dann um. Die Wurfmesser steckten in der kalkweißen Wand und formten dabei genau ihren Umriss nach. Sie merkte nun erst, wie knapp Gary getroffen hatte. So knapp, dass ihr nun die Kleider an den Seiten in Fetzen hingen. Sie versuchte, sie am Körper zu halten, doch der Stoff löste sich langsam auf, ebenso wie Gary, der zwar noch lachte, aber bald nicht mehr zu sehen war.
Sie ging rückwärts. Die Wand schien plötzlich unendlich weit weg. Gähnende Leere. Keine Wände mehr, kein Horizont, keine Weite, keine Tiefe. Panisch drehte sie sich im Kreis. Alles war gleich. Sie lief. Sie lief so schnell und so weit sie konnte. Beim Laufen fiel ihr auf, dass sie ein weißes Kleid trug. Vor lauter Verwunderung bemerkte sie zu spät, dass sich vor ihr ein Abgrund befand. Sie sprang in letzter Sekunde, doch es war sinnlos, denn es gab hier keine andere Seite, die es zu erreichen galt.
So fiel sie schier ewig und glaubte, es würde nie enden. Sie hatte keine Angst vor dem Aufprall.
Die weiße Umgebung verschwand. Stattdessen sah sie Bilder. Sie flog vorbei an Gemälden mit dicken, verzierten Rahmen. Sie erkannte die Personen darauf, als wäre es ganz selbstverständlich. Da war ein stattlicher Mann mit einem gepflegtem, gestutzten Vollbart, dunklem Haar und einem strengen Gesichtsausdruck. Er trug prächtige Kleidung, so wie sie vor etwas mehr als einem Jahrzehnt Mode waren und auf seinem abgewinkelten Arm saß ein Jagdfalke. Auf dem nächsten Bild erkannte sie eine Frau. Sie trug eine Art Schleier, doch konnte man an der Stirn den Ansatz ihrer hellblonden Haare erkennen. Sie lächelte sanft, doch das Lächeln erreichte ihre blauen Augen nicht. Das letzte Gemälde zeigte drei Personen. Zwei ältere Mädchen mit langen, dunklen Haaren. Sie waren beinahe gleich groß und trugen die gleichen roten Kleider mit reichen Stickereien. Vor ihnen stand ein kleines Mädchen, es sah der Frau mit dem Schleier sehr ähnlich. Ihre Augen waren blau, genau so blau wie das Kleid, das sie trug. Dann fiel sie wie aus heiterem Himmel in ein weiches Bett. Um sie herum flogen unzählige weiße Daunen in die Luft. Sie fühlte sich umarmt und wie angekommen. Ein leises Wiegenlied erklang. Sie schlief ein und erwachte doch gleichzeitig und war verwirrt.
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Amaalia


Amaalia war mittlerweile neun Jahre alt. Es war sehr ungewöhnlich, dass ihre Amme nun noch immer bei ihr war, doch fühlten sich die Eltern der alten Frau verpflichtet, seitdem sie Elisabeth offensichtlich die richtigen Mittel gegeben hatte, um zu gesunden. Außerdem war Amaalias Mutter zu sehr mit Elisabeth beschäftigt.

Elisabeth entwickelte sich zu einem richtigen Miststück. Sie hatte sich nach ihrem Zusammenbruch erholt, wusste aber die Sorgen ihrer Mutter um sie sehr gut auszunutzen. Sobald der jüngeren Amaalia zu viel Aufmerksamkeit zuteil wurde, fühlte sich Elisabeth wieder schlechter, wurde krank oder fand eine andere Möglichkeit, den Fokus auf sich zu lenken. Ihr liebster Zeitvertreib war es, Amaalia in Schwierigkeiten zu bringen. Sie verriet sie an die Mutter, wenn sie sich undamenhaft benommen hatte, zerstörte ihre Handarbeiten, die die Mutter täglich von ihr verlangte oder versteckte die heißgeliebten Bücher, die Amaalia von ihrem Hauslehrer ausgeliehen bekam. Elisabeth war eifersüchtig. Sie setzte alles daran, besser da zustehen, als die kleine.

Das kleine Mädchen versuchte, sich der Mutter anzuvertrauen, doch sie wollte von alledem nichts wissen „Schäm dich Kind“ waren ihre Worte. „Elisabeth ist so verletzlich und schwach. Wie kannst du nur so etwas behaupten?“ Dann strafte sie Amaalia mit einem herabwürdigenden Blick und ließ sie stehen. Wenn Elisabeth ihre Handarbeiten zerstörte und Amaalia sich bei ihr darüber beschweren wollte, dann sagte die Mutter „Lüge nicht! Elisabeth ist eine sehr tugendhafte junge Dame. Warum sollte sie so etwas tun. Ihr Stickereien sind ohnehin makellos, anders als die deinen. In deinem Alter konnte Elisbath schon viel besser sticken als du“ Also gab es die kleine auf und sagte nichts mehr. Sie versteckte ihre Dinge lediglich besser, damit Elisabeth sie nicht mehr an sich nehmen konnte.

Die Amme hatte das ganze Spiel längst durchschaut und hielt insgeheim zu ihrem kleinen Zögling. Sie war seit jener Begebenheit auf der Götzburg wie verändert mit Amaalia und wenn der Vater einmal wieder nicht auf der Burg verweilte war sie die einzige Person, die ihr glaubte und sich mit ihr beschäftigte. „Nimms nicht so schwer, mein Kind“ sagte sie oft mit einem gütigen Lächeln „Auch Elisabeth wird bald die Burg verlassen müssen. Ich hab gehört, es gibt schon Heiratsangebote“ Dann drückte sie das Kind an ihre große, weiche Brust und brummte vor sich hin „Mir tut ihr künftiger Gemahl heute schon leid. Diese blasse Zimzicke …“ aber so, dass Amaalia es kaum verstehen konnte, denn ihr Ohr war ja gegen die Brust gedrückt.

Eines Tages kam der Vater von einer Ratsversammlung seines Lehnsherren zurück. Wie immer hatte er Geschenke für seine Frau und die beiden Töchter dabei. Amaalia umarmte ihn lange, denn sie hatte ihn vermisst. Wenn er auf der Burg war, hielt sich Elisabeth zurück und die Mutter war beschäftigt. „Ich bin ja so froh, dass du wieder hier bist, Vater. Oh bitte geh nicht mehr so lange fort“ flehte sie an dessen Schulter. Elisabeth beobachtete die Szene mit Argwohn. Sie hatte nie ein solch inniges Verhältnis zu ihrem Vater und konnte die Eifersucht nur mit viel Mühe in ihrem Gesichtsausdruck verbergen.

Beim darauffolgenden Abendessen an der langen Tafel waren an jenem Abend einige Gäste zugegen. Der Vater verkündete nach dem üppigen Mahl und bei reichlich Wein „Wir werden schon bald aufbrechen. Wir haben die unsagbar große Ehre, dass Friedrich von Plassen uns zur Jagd eingeladen hat. Wir brechen übermorgen auf.“ Amaalia hatte den Namen schon oft gehört. Friedrich von Plassen war der sehr reiche und mächtige Burgherr der Kadolzburg. Er war zwar sehr einflussreich und der König soll angeblich sehr viel Wert auf seine Meinung gelegt haben, er war aber auch bekannt dafür, sehr grausam und gewalttätig zu sein. Er hatte erst kürzlich geheiratet und es ging das Gerücht herum, seine junge Frau hätte sich aus dem Fenster des Turmes gestürzt, um ihrem betrunkenen Gemahl zu entkommen. Offiziell war sie an einer Lungenentzündung gestorben. Dass er nun bereits zu einer fröhlichen Jagdgesellschaft einlud, sprach nicht dafür, dass er sehr trauerte, dachte sich das Mädchen. Dennoch freute sie sich über die Abwechslung, die die Reise mit sich bringen würde. Ein Blick auf Elisabeth verriet aber, dass diese nicht sehr begeistert schien. Die Mutter hingegen lächelte zufrieden und nippte von ihrem Wein.

Es war eine weite Reise. Sie dauerte insgesamt 5 Tage und war so geplant, dass sie stets auf der nächst weiteren Burg einkehrten, um dort die Nacht zu verbringen. Der Vater wollte Friedrich von Plassen imponieren und hatte all sein Gefolge dabei. Sie kamen auf den schlechten Wegen nur sehr langsam und mühselig voran. Amaalia war froh, dass sie auf ihrem Pferd reiten durfte. Die Kutscher hatten Schwierigkeiten, die Wagen über die ruckeligen Wege zu lenken. Manches Mal blieb ein Rad in einer Schlammpfütze stecken oder die Achse brach entzwei. Dann musste der ganze Reisetross warten, bis der Schaden behoben war. Hätte sie dabei in der Kutsche sitzen müssen, wäre sie vor Ungeduld und Langeweile gestorben. Außerdem hätte sie dann Elisabeths Gequengel und Mutters Wortergüsse ertragen müssen.

Sie erreichten die Kadolzburg. Diese übertraf alles, was Amaalia je gesehen hatte. An ihrem Fuße hatte sich eine kleine, lebendige Stadt gebildet. Unzählige Menschen wuselten durch die gepflasterten Straßen und viele von Ochsen oder Eseln gezogene Karren wurden hinauf zur Burg gelenkt. Auf dem großen Platz vor der Burg herrschte reges Treiben. Es waren noch weitere Ritter zu Gast auf der Burg und auch die hatten ihr Gefolge dabei. So tümmelten sich hier Knechte, Knappen und Pagen. Pferde wurden bewegt und in den großen Stall gebracht, Kutschen wurden repariert, Fässer und Lebensmittel geliefert. Falkner fachsimpelten miteinander und kleine Kinder liefen lachend über den Platz, gefolgt von bellenden Hunden.

Amaalia ließ sich vom Pferd heben und wartete, dass Muter und Elisabeth aus der Kutsche stiegen. Amaalias Vater kümmerte sich darum, dass es seinem Falken auch gut ging und sein Falkner ihn sogleich an den vorgesehenen Ort brachte. Es war ein stolzes Tier und Ulrich von Kohlscheid legte sehr viel Wert darauf, dass er einen der besten Falken unter allen Rittern besaß. Auch Amaalia war fasziniert von diesem Tier. Nur zu oft sah sie dabei zu, wie der Falke abgerichtet wurde und bewunderte dessen Kraft und Anmut. Der Vater erlaubte ihr meistens, bei der Jagd auf Rebhühner dabei zu sein. Das war der liebste Zeitvertreib des Ritters, den seine Tochter gerne mit ihm teilte, seitdem sie sicher auf einem Pferd reiten konnte. Nicht einmal die Mutter konnte ihr das verbieten, zu sehr genoss es der Vater, seiner jüngsten Tochter alles zu erklären und zu zeigen.

Sie freute sich auf die bevorstehende Jagd. Viele Vasallen des Königs waren angereist, so fern sie nicht gerade verpflichtet waren, beim König selbst zu sein. Sicherlich war die Jagd nur ein Vorwand und hinter den Kulissen ging es um ganz andere Dinge. Es wurde Politik betrieben. Amaalia überlegte, ob vielleicht ein Komplott oder eine Intrige ausgeheckt wurde und ob es ganz nebenbei noch einen anderen Grund hab, dass diese Jagd veranstaltet wurde. Doch eigentlich wollte sie nur so schnell wie möglich zu den Falken und sich die Tiere ansehen „Amaalia nun komm doch!“ Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen. Alle warteten auf sie, den großen Saal der Burg zu betreten.
Auch drinnen war viel los. Überall standen Grüppchen fein gekleideter Männer oder Frauen, die sich unterhielten. Ein sehr großer Mann mit beeindruckendem Körperumfang kam auf sie zu und begrüßte Amaalias Vater lauthals „Ulrich du alter Nichtsnutz! Hast du es endlich hergeschafft. Ich dachte schon, dein Falke hat eine Erkältung und du drückst dich.“ Er lachte so laut, dass er alles andere im Saal damit übertönte. Amaalia stand neben ihrer Mutter und starrte den Mann unverwandt mit ihren großen blauen Augen an. „Du hast dich zu früh gefreut, Friedrich. Mein Falke wird mehr Fasane fangen, als dein zahmes Täubchen. Darauf sei gefasst.“ Die beiden Männer lachten nun gemeinsam, einer lauter als der andere. Amaalia war Friedrich von Plassen nicht geheuer. Sie fand ihren eigenen Vater schon sehr groß und von beeindruckender Statur. Doch dieser Mann überragte ihn um einen halben Kopf und stellte ihn sogar körperlich in den Schatten. Amaalia fand sein Auftreten angsteinflößend. Obwohl er lachte, schien er ein eher unfreundlicher Zeitgenosse zu sein, mit dem man sich besser nicht anlegte. Genau so hatte sie sich diesen Mann vorgestellt, wann immer sie Erzählungen von ihm hörte. Die Erzählungen handelten meist davon, wie er seine hörigen Bauern behandelte. Wer seinen Frondienst nicht erfüllte oder seinen Osterzins nicht im vollen Umfang zahlen konnte, der hatte keine Gnade zu erwarten. Unter dem Deckmantel des Frondienstes ließ der Burgherr auch so manche Bauerntochter zu sich auf die Burg bringen, sobald sie das ehefähige Alter erreichte und dessen Geschmack traf.
Am schlimmsten aber traf es die Leibeigenen. Sie hatten gar keine Güte von Friedrich von Plassen zu erwarten. Wer konnte, versteckte sich vor ihm, ehe er sein zweifelhaftes und überflüssiges Urteil fällen konnte. Man hörte, er würde schon mal nur aus reiner Langeweile einen der Leibeigenen Schweine-, Ochsen- und Schafhirten auspeitschen lassen und nahm sich bei den niedrigsten dieses Standes sein fragwürdiges Recht, eine junge Braut noch vor der Eheschließung zu besitzen, ehe er sie geschunden und erniedrigt zu ihrem Bräutigam zurückbringen ließ. Auch wenn er nun lachte und ihnen gegenüber freundlich wirkte, konnte es das junge Mädchen nicht davon abbringen, ihn unsympathisch zu finden. Ihr eigener Vater war sehr gütig zu seinen Bauern. Selbst die Leibeigenen behandelte er beinahe wie freie Bauern. Er verlangte nie mehr, als den ihm zustehenden Zins und wenn ein Bauer als Bittsteller zu ihm trat und um Hilfe oder Erlass bei den Steuern bat, dann war er ein gerechter Herr, der die Argumente abwog und dann entschied.

Amaalia war erleichtert, als sie, Mutter und Elisabeth endlich zu ihren Räumlichkeiten geführt wurden. Amaalia teilte sich eine kleine Kammer mit ihrer Amme. Ihr war das ganz recht. Mutter und Elisabeth waren ohnehin damit beschäftigt, die ältere unentwegt aufzuhübschen. Es waren viele ledige Männer auf der Burg und es war endlich Zeit, immerhin war sie schon sechzehn Jahre alt. Aus diesem Grund hatte die Mutter auch mehrere Dienstmägde mitgebracht, die ihr beim Ankleiden behilflich sein mussten. Der Aufwand war immens, denn bisher war es nicht gelungen, die magere und hochgewachsene Elisabeth an den Mann zu bringen. Der Vater scherzte bereits, dass sie ganz gewiss einen guten Dienst als Nonne im Kloster bringen würde und für ihr aller Seelenheil beten könnte. Doch das fanden weder Elisabeth, noch Mutter besonders witzig und so setzten sie nun alles daran, das bisschen reizvolle aus dem schlaksigen Körper herauszuholen.

Abends fand ein lustiges Gelage statt. Im großen Saal saßen bunt gekleidete Menschen an wuchtigen Tafeln. Zu Essen wurde aufgetragen, was die Speisekammer herzugeben schien. Ein ganzes, gebratenes Wildschwein zierte die Mitte der größten Tafeln, die im Zentrum des langen Raumes stand. Dort saß auch Friedrich von Plassen. Er war umringt von anderen Vasallen des Königs, darunter Amaalias Vater. Das Mädchen staunte mit offenem Mund über die Fülle: Neben Wild und Fisch wurden Fasane und Schwäne aufgetragen. Die Bediensteten waren unentwegt damit beschäftigt, Krüge voller Wein zu bringen und die irdenen Becher nachzuschenken. Zu Beginn achtete noch jeder darauf, sich an allgemeine Tischzuchten zu halten. Das bedeutete, nicht mit vollem Mund zu sprechen oder zu trinken, nicht zu laut zu reden, sich nicht in die Hand zu schneuzen oder mit den Fingern Senf zu nehmen. Da viele Damen und Fräulein zugegen waren, hielten sich die Männer zunächst auch in ihrer Wortwahl zurück. Doch je mehr Wein gereicht wurde, desto derber und unziemlicher wurde das Verhalten. Und selbst die weibliche Gesellschaft schien es an gutem Benehmen fehlen zu lassen, je geröteter ihre Wangen wurden. Amaalia musste an sich halten, nicht laut aufzulachen. Doch sie wollte die Mutter nicht enttäuschen, die ihr noch vor der Abreise das Versprechen abnahm, sich ordentlich zu benehmen und stets an die vier wichtigsten Dinge zu denken, an die ein junges Burgfräulein zu denken hatte: Keuschheit, Schamhaftigkeit, Schweigsamkeit und Demut. Und so übte sie sich in Demut, aß von den vielen Köstlichkeiten nur so viel, bis sie satt war, verhielt sich möglichst unauffällig und hätte ohnehin nicht gewusst, was sie reden sollte. Sie war froh gewesen, dass sie nun endlich immer mit durfte, wenn solche Feste gefeiert wurden. Die Mutter war der Meinung, sie solle langsam lernen, gesellschaftsfähig zu sein und da war es das Beste, das Kind ab nun stets mitzunehmen.

Nachdem das Essen abgetragen wurde, spielten Spielleute auf. Es wurde gesungen, getanzt, gelacht und noch mehr getrunken. Amaalia fragte sich, wie die Herrschaften am nächsten Tag schon früh auf die Jagd gehen wollten. Ein Blick auf ihren Vater verriet, dass auch der sehr viel getrunken haben musste. Er saß neben dem Burgherren und unterhielt sich angeregt mit ihm. Es schien, als würden die beiden Männer ein Geschäft ausmachen und darauf einschlagen.

Eine der Gesellschafterinnen von Amaalias Mutter flüsterte ihr etwas zu. Mechthild von Kohlscheid lächelte zufrieden und nickte. Dann sagte sie zu ihren Töchtern „Es ist Zeit, ins Bett zu gehen. Morgen haben wir einen wichtigen und langen Tag vor uns“ Amaalia wollte gerade protestieren, erinnerte sich aber sogleich wieder an ihr Versprechen und folgte der Mutter wortlos. Als sie sah, wie ungewohnt Elisabeth dahin stolzierte, konnte sie ein leises Kichern dann doch nicht vermeiden. Der Anblick war einfach zu witzig.

Als sie umgekleidet und gewaschen war, lag sie in dem schmalen Bett noch lange wach. Sie drehte sich unruhig von einer Seite auf die andere und seufzte. Ihr wäre selbst gar nicht aufgefallen, wie unruhig sie eigentlich war, wenn sich die Amme nicht beschwert hätte „Was hast du denn, Kind? Nun halt endlich ruhig und schlafe. Da bringt man ja kein Auge zu!“ Sie gab sich alle Mühe und fand endlich eine bequeme Position. Doch gingen ihr die Worte der Mutter noch nicht aus dem Kopf. Morgen würde die Jagd stattfinden. Doch was war daran so anstrengend und was vor allem so wichtig? Auch sah sie immer wieder den Vater vor ihrem inneren Auge, wie er mit Friedrich von Plassen auf etwas anstoß und dabei sehr zufrieden wirkte.


Amaalia war zu Besuch bei Lady_my in Linz. Ihr Bett war so angenehm weich, dass sie zum ersten Mal seit Beginn der Reise wieder richtig schlafen konnte. Und so kamen auch die Träume wieder, die Amaalia schon vermisst hatte. Natürlich hatte sie ihr kleines Büchlein mitgenommen. Am Morgen blätterte sie darin. Zu viele Seiten waren noch leer und sie wusste nicht, ob sie jemals in der Lage sein würde, sie zu füllen. An diesem Morgen zeichnete sie mit einem kleinen Kohlestift einen stolzen Falken mit einer Haube auf die nächste leere Seite. Was es wohl mit dem Vogel auf sich hat.
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Amaalia


Nach dem Frühstück versammelten sich Ritter, Knappen, Hundeführer, Falkner und Knechte auf dem großen Hof. Es schien ein heilloses Durcheinander zu sein, doch fand schließlich jedes Pferd zu seinem richtigen Besitzer und die Jagdgesellschaft konnte aufbrechen. Amaalia war enttäuscht, denn sie durfte nicht mit, obwohl auch Damen mit ihren eigenen Habichten hoch zu Ross an der Beiz teilnahmen. Der Vater hatte sie vertröstet und ihr versprochen, sie gleich bei der Heimkehr mit auf die Jagd zu nehmen. Eine solch große Jagd sei nichts für ein kleines Mädchen, meinte der. Hier ginge es vielmehr um Politik und Prahlerei, als um Fasane. Einen Moment hatte sie geschmollt, doch als sie merkte, es würde ihn nicht umstimmen, gab sie auf. So blieb ihr also nur, mit der Mutter und Elisabeth an der Treppe zu stehen und den Reitern sehnsüchtig hinterherzusehen.

Sie begleitete die beiden auf ihr Zimmer. Was hätte sie auch sonst tun sollen, auf der fremden Burg. Sie setzte sich still an ein Fenster und schaute hinaus, in der Hoffnung, etwas von der Jagd sehen zu können, doch es war vergebens. Derweil fand in dem Zimmer ein kleines Drama statt. Alle Kisten wurden geöffnet und Elisabeths Kleider herausgerissen. Kammerdienerinnen hielten ihr die Kleider hin, während sie sich vor einem hohen Spiegel betrachtete. Die Mutter schrie bei jedem Kleid „Nein! Das andere!“ und wurde dabei immer hysterischer. „Wir haben das rote Kleid mit der Samtborte nicht dabei. Wer hat das vergessen?! Es wäre perfekt gewesen für heute“ Eines der Dienstmädchen stammelte eine Entschuldigung und fing sich dafür eine schallende Ohrfeige von Mechthild ein. Amaalia wurde erst jetzt richtig aufmerksam auf das Spektakel und beobachtete das Geschehen mit hochgezogenen Augenbrauen. Mutter hatte sich doch sonst im Griff, warum nur war sie heute so aufgeregt. Es erinnerte sie an damals, als ihre älteste Schwester verlobt wurde. Damals verhielt sie sich ähnlich. Sollte es diesmal um das gleiche gehen? Sie hielt es für schlauer, sich weiter im Hintergrund zu halten. Die Mutter könnte sie ansonsten ausschimpfen oder sie aus dem Zimmer schicken.

Man fand dann doch ein Kleid für Elisabeth. Es war ein grünes mit Perlen und Stickereien verziertes Kleid. Amaalia hörte schon die Amme höhnen „Grün ist die Farbe der Hoffnung… also hoffen wir mal“ und grinste in sich hinein. Dann wurde unter großem Gejammer gekämmt und frisiert. Sie hatte langes, dunkles Haar. Sie waren weder gelockt, noch glatt. Es waren einfach nur matte, widerspenstige Haare, welche von zwei Dienstmädchen mühselig zu einer kunstvollen Frisur geflochten und gesteckt wurden. Als Elisabeth nach erschreckend langer Zeit endlich fertig angezogen, frisiert und mit Schmuck der Mutter behangen war, fand Amaalia, sie sah reichlich albern aus. Wie gewollt und nicht gekonnt. Auch die Mutter schaute skeptisch und umrundete ihre Tochter einmal, dabei seufzend. Dann rang sie sich ein Lächeln ab und sagte „Sehr schön“, wobei es klang, als wolle sie sich selbst Mut zusprechen.

Amaalia befand, es war Zeit zu gehen, ehe sie auch noch wie ein Osterstrauß ausstaffiert wurde und ging in ihre Kammer, um sich umzuziehen. Die Amme hatte bereits ihr hübsches, blaues Kleid mit den weißen Stickereien bereit gelegt. Es genügte, die glatten, langen Haare zu kämmen und mit einem passenden Band das Deckhaar am Hinterkopf zusammenzubinden. Dann ertönten von weither die Jagdhörner und das Mädchen bat die Amme aufgeregt, sie in den Hof gehen zu lassen, um die Jäger in Empfang nehmen zu können.

Mutter und Elisabeth standen schon an der Freitreppe. Amaalia kam gerade unten an, als die ersten Reiter zurückkehrten. Es dauerte nicht lange und die gesamte Jagdgesellschaft fand sich auf dem Hof ein, um die zahlreichen erlegten Fasane und Hasen bei einem Becher Wein zu begießen. Dann wurde die Beute von Bediensteten in das Küchengebäude gebracht, um dort zubereitet zu werden. Plötzlich wurde Amaalia auf Friedrich aufmerksam. Er schrie seinen Knappen an. Die Menschen wurden alle ruhig und beobachteten die Szene mehr oder weniger amüsiert. Und dann konnten sie alle Zeuge von Friedrichs weit bekanntem Jähzorn werden. Er schrie so laut, dass Amaalia schier das Blut in den Adern gefror Dabei spukte er dem jungen Kerl ins Gesicht. Der traute sich kaum aufzusehen und stand da wie ein Häuflein Elend. Er ahnte wohl zu gut, was ihm blühen würde. Vor lauter Angst nässte sich der Jüngling ein, wodurch der Ritter noch wütender wurde „So ein mickriger Schwächling wie du willst mein Knappe sein? Das ist ja lächerlich!“ Dann holte er mit seiner prankenhaften Hand weit aus und schallerte dem Knappen eine mitten ins Gesicht. Der fiel von der Wucht des Schlages zu Boden, doch Friedrich ließ nicht von ihm ab „Steh auf, du Ratte!“ brüllte er und der Knappe tat, wie ihm befohlen. Amaalia bemerkte mit Schrecken, dass der Jüngling aus dem Ohr blutete. Sie sah sich hilfesuchend um, doch niemand der umstehenden schien gewillt, einzuschreiten. Auch der Vater stand nur da wie angewurzelt, wenngleich sein Blick verriet, was er von dem Geschehen hielt.

Friedrich wütete derweilen weiter und hieß den Knappen alle möglichen Schimpfwörter. Der begann zu schluchzen und der Ritter holte erneut aus, um zuzuschlagen. Amaalia konnte sich nicht mehr zurückhalten „NEIN!“ rief sie dem Hünen mit ihrer dünnen Mädchenstimme zu und setzte langsam einen Fuß vor den Anderen, um die Treppe hinunterzugehen. „Kind!“ hörte sie die Mutter hinter sich atemlos rufen, und Elisabeth rief hysterisch „Mutter, so tu doch etwas. Sie macht alles kaputt!“ doch es war zu spät. Alle Augen waren auf Amaalia gerichtet. Auch die des Ritters, der ungläubig mit erhobener Hand in seiner Bewegung innehielt. Er war so verblüfft, dass ihm für einen Moment die Gesichtszüge entglitten. Als ihm gewahr wurde, wer ihn in seinem Handeln aufhalten wollte, senkte er die Hand und wollte wohl grade anfangen sie anzuschreien. Da nahm Amaalia all ihren Mut zusammen und stellte sich zwischen den Riesen und sein Opfer, das nur noch leise wimmerte „Du kommst dir wohl mächtig stark vor! Du bist stark und riesengroß und lässt deine Wut an schwächeren aus, nur weil du bei der Jagd nicht der beste warst.“ Amaalia sah ihn dabei kühn an. Sie kochte innerlich „Zu wem gehört diese Göre, das ist ja unerhört“ sagte jemand, doch Friedrich hob die Hand. „Ruhig! Lasst das Kind sprechen. Es amüsiert mich.“ Amaalia schluckte. Sie konnte förmlich spüren, wie Elisabeth und Mutter hinter ihr einem Nervenzusammenbruch nahe waren, doch nun konnte sie nicht mehr kneifen, es war zu spät. „Dein Knappe sollte von dir lernen, ein Ritter zu sein. Kein ungehobelter, gewalttätiger Klotz ohne Hirn!“ Das Mädchen erwartete schreckliches. Was jedoch darauf folgte, war grotesk: Friedrich verzog das Gesicht zu einer angsteinflößenden Fratze und sie widerstand dem Bedürfnis, zurückzuweichen. Dann aber fing er an zu lachen, dass die Erde beinahe erzitterte. „Das Mädchen hat mehr Schneid, als ihr alle zusammen“ er zeigte mit ausgestrecktem Finger rings um sich und lachte wieder. Nach und nach stimmten die anderen ein und schon bald war der ganze Hof von einem einzigen lauten Gelächter erfüllt. „Lauf, du Taugenichts!“ sagte er seinem Knappen und als der die Beine in die Hand nahm und Richtung Ställe davon rannte, lachte der Ritter wieder. Amaalias Vater war zwischenzeitlich hinter sie getreten und legte eine Hand auf ihre Schultern. Langsam konnte sich das Mädchen wieder beruhigen. „Wenn dir die große Klappe dieses Görs nicht mal zum Verhängnis wird“ sagte Friedrich und schlug ihm Freundschaftlich auf die Schultern. „Auf dieses Ereignis brauch ich erst einmal etwas Ordentliches zu Trinken.“ Und so ging er die Treppe hinauf und verschwand gefolgt von allen anderen in der Burg. „Gut gemacht, mein Kind“ Sagte der Vater, ehe er sie auf dem Hof zurückließ und den anderen folgte. Amaalia stand da noch eine ganze Weile, völlig perplex. Langsam wich die Anspannung aus ihrem Körper und ihr wurde bewusst, dass das auch nach hinten hätte losgehen können. Doch sie wäre geplatzt, wenn sie nichts gesagt hätte. Und es fühlte sich richtig an für sie. Blieb nur zu hoffen, dass Friedrich sich nicht später noch an seinem Knappen rächen würde, weil er seinetwegen von einem kleinen Mädchen vor versammelter Mannschaft bloßgestellt wurde.

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Am Abend wurde die erfolgreiche Jagd gefeiert. Fasane und Hasen waren gebraten, gesotten oder geschmort und mit Wurzelgemüse und Brot kunstvoll auf großen Platten angerichtet. Das Fest überragte das des Vortages. Die Tafel war noch reichlicher gedeckt und es floss noch mehr Wein. Ein Barde sang Lobeshymnen auf den Burgherren, doch eigentlich hatten die Menschen nur ein Thema: Wie sich das kleine Mädchen schützend vor den Knappen stellte. Amaalia war das alles sehr unangenehm. Sollte sie etwa als „Das Mädchen mit der großen Klappe“ in die Geschichte eingehen?

Dann stand Friedrich auf und hob einen vollen Becher Wein, um etwas zu verkünden „Meine Freunde, ich habe euch an diesem besonderen Tag etwas zu verkünden. Mein guter Freund Ulrich von Kohlscheid und ich sind darüber überein gekommen, dass ich ihm die Ländereien übergebe, die unmittelbar an die seinen grenzen. Er übernimmt die dort ansässigen Bauern und Leibeigenen. Im Gegenzug gibt er mir seine Tochter zur Frau.“ Alle im Raum hielten scheinbar die Luft an, ein paar sahen geschockt zu Amaalia und deren Herz hörte für einen kurzen Schreckmoment aufzuschlagen. Dann fuhr der Ritter fort „Elisabeth von Kohlscheid wird nach Allerheiligen mein Eheweib“ Er hob den Becher noch höher und sprach „Auf dass sie mir viele Söhne gebärt“ und alle anderen hoben ebenso den Humpen und tranken auf die überraschende Verlobung. Amaalia konnte aber nur denken „Nicht ausgerechnet der!“ Sicher, sie hatte kein besonders gutes Verhältnis zu ihrer Schwester. Doch solch einen Ehemann wünschte sie ihr nicht. Zu ihrer Überraschung saß Elisabeth lächelnd neben der Mutter. Sie hatte damit gerechnet, dass sie leise weinen und hysterisch davonrennen würde, doch das Gegenteil war der Fall. Mit stolzgeschwellter Brust saß sie da und lächelte zufrieden.

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Sie kehrten auf die heimische Burg zurück. Bis zur Hochzeit waren es noch neun Wochen, doch die Mutter hatte bereits Panik, sie würde nicht fertig werden. Es galt, ein Kleid für Elisabeth zu schneidern und ihre Mitgift zu vervollständigen. Alle Kammermädchen waren nur noch damit beschäftigt. Tuchhändler brachten die schönsten Stoffe auf die Burg. Es dauerte lange, bis die Mutter endlich etwas fand, das ihrem Geschmack traf. Dann debattierte sie mit dem Schneider über den Schnitt und wie die Borten verziert werden sollten. Auch für sich selbst und Amaalia ließ sie neue Kleider schneidern. Die Hochzeit würde groß werden, Ritter und adelige aus dem ganzen Reich würden zugegen sein und man sprach davon, dass lediglich ein König noch größer feiern würde. Da durfte sie nichts dem Zufall überlassen. Immerhin hatte sie noch eine weitere Tochter, die bald das heiratsfähige Alter erreichen würde und die nun landauf, landab für nichts, ausser ihre scharfe Zunge bekannt war.

Wann immer sie Zeit und Muse hatte, hielt sie Amaalia vor, wie enttäuscht sie war. Amaalia konnte die Monologe der Mutter schon auswendig vorsagen. Sie sprach unentwegt von Schamhaftigkeit, Schweigsamkeit und Demut, an der sie es an jenem Tag hat fehlen lassen „Was soll nur aus dir werden, wenn du größer bist? Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es dann um deiner Keuschheit steht. Wieso wurde ich nur mit einem solchen Kind gestraft?“ Sie würdigte Amaalia stets mit demselben vielsagenden Blick. „Dein Glück nur, dass Friedrich die Verlobung nicht hat platzen lassen, obwohl du ihn so bloßgestellt hast. Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Und Amaalia sagte einmal kleinlaut aber dennoch stolz „Ich dachte, ich tu was Vater immer sagt. Für Schwächere einstehen und Unrecht ankreiden, wenn ich es sehe.“ „Papperlapapp! Der Knappe ist doch nicht schwächer als du törichtes Ding! Das ist einzig und allein Sache des Ritters, wie er ihn ausbilden möchte. Wage es nicht, einmal so mit deinem künftigen Gemahl zu sprechen. Du würdest mir nur Schande bereiten und man würde herumerzählen, ich wäre nicht fähig, ein Burgfräulein zu einer Burgherrin zu erziehen.“ Das war ihre einzige Sorge, was die Menschen über sie denken könnten. Als sie dann endlich wieder fertig war und von Amaalia abließ, suchte das Kind das Weite und spielte in den Ställen bei den Pferden oder besuchte die Falken in der Falknerei der Burg. Sie wollte nicht an all das denken müssen.



Amaalia erwachte und musste sich erst einmal orientieren. Nein, bei My war sie nicht mehr zu Hause. Das hier war ein Gästezimmer in einem Linzer Gasthof. Ihre Bekannten waren am Vorabend abgereist, die Armee rief. Doch sie blieb hier. Sie redete sich ein, es war, weil sie das mit Anna so abgemacht hatte. Doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hätte sie genau so gut in Passau auf sie warten können. Und sie war sich sicher, dass so manch Linzer dankbar gewesen wäre, wenn sie endlich fort wäre. Immerhin hatte sie nun oft genug mitbekommen, wie man hinter ihrem Rücken über sie redete.

Am Vorabend war sie durch Linz gerannt. Ohne Ziel und Sinn. Sie musste ihre Gedanken ordnen. Dabei fühlte sie sich wie betrunken. Gut, sie war betrunken vom Bier. Doch da war auch noch etwas anderes, dass sie bislang nur als Glück bezeichnen wollte. Was entspann sich da? War das richtig? Anna schrieb, sie solle sich nicht den Kopf verdrehen lassen, um sich sehenden Auges in alles stürzen zu können. Es war gar nicht so leicht, einen klaren Kopf zu bewahren. Amaalia nahm sich deshalb vor, sich am nächsten Tag nicht zu so viel Bier überreden zu lassen. Sie wollte sich außerdem ein Hintertürchen offen halten. Vielleicht war es ja doch besser, wenn sie in Passau auf Anna wartete. Aber das würde der Verlauf des Tages mit sich bringen.

Sie musste sich eingestehen, dass sie sich wieder einmal zu viele Gedanken machte. Doch das lag einzig daran, dass jemand nun ihretwegen verletzt war. Würde es sich nicht um eine wirklich liebe Linzerin handeln, wäre es ihr vermutlich egal. Doch so belastete sie die Situation und sie wünschte sich, es würde noch heute geklärt werden. Sie war drauf und dran, sich in etwas zu verrennen. Und da mussten zuerst andere Dinge abgeschlossen werden. Dann erst würde sie bereit sein, für was auch immer diese Geschichte für sie bereit hielt.

Endlich konnte sie sich von hren Gedanken losreissen und aufstehen. Sie machte sich fertig für den Tag und wählte das rote Kleid. Es passte am besten zu ihrer momentanen Stimmung. Ihr kleines Büchlein nahm sie mit in die Wirtshausstube. Dort wollte sie alles aufschreiben, was ihr zu ihren Träumen in den Sinn kam, wenn sie sich denn konzentrieren konnte.

Sie blätterte durch das Buch und las:



Zitat:
1. Seite
Amaalia Henrietta

2. Seite
Das Bild einer Frau. Sie vermutete nach wie vor, dass sie das selbst ist.

3. Seite
Wer seid ihr?
Giselher 
Linhard 
Elisabeth

4. Seite
Ein Wiegenlied

Schlaf mein kleiner Liebling ein!  
Draußen fällt der Regen.  
Mutter schaukelt 's Wiegelein -  
ist ja schon so alt wie Stein.  
Träum durch den Nebel, dem Tage entgegen!  

Überall herrscht Dunkelheit. -  
Schwer meine Gedanken.  
Schwarzer Sand - wie vor der Zeit -  
decket unsre Ängstlichkeit.  
Die Gletscherspalten uns weisen die Schranken.  

Schlafe endlich nun, schlaf ein!  
Bald schon ist es Morgen.  
Träume auch den Wassern zu!  
Väter schirmen unsre Ruh.  
Ihr ew’ges Sehnen: Sich um uns zu sorgen.

5. Seite
Eine einfache Zeichnung von einem Greifvogel



Auf die nächste Seite schrieb sie lediglich vier Worte, die ihr durch den Kopf geistern:

Zitat:
Keuschheit
Schamhaftigkeit
Schweigsamkeit
Demut


Dann klappte sie das Buch wieder zu.
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Amaalia
Linz wurde ihr zu eng. Sie musste weg, ehe sie erstickte. So fühlte es sich jedenfalls an. Anna würde noch viel länger in Rottenmann bleiben, als ursprünglich geplant. Also hielt sie nichts mehr an diesem Ort. Das Getratsche hinter ihrem Rücken ärgerte sie mehr, als es tun sollte. Sie hatte es satt, zu hören, dass es schon zum Scheitern verdammt war. Was wussten sie schon, welche Absichten sie hatte. Es ging ihr um den Augenblick. Ganz unkompliziert. Was wirklich daraus wurde, stand in den Sternen. Niemand konnte es voraussehen.

Wenn man ihr vor einer Woche gesagt hätte, sie würde bald hoch zu Roß zusammen mit einem Mann reisen, dann hätte sie demjenigen den Vogel gezeigt. Und wenn man ihr gesagt hätte, dieser Mann wäre ein Räuber, dann hätte sie denjenigen für verrückt erklärt. Doch nun war es geschehen. Es war um sie geschehen. Einfach so. Im unmöglichsten Moment und ganz anders, als geplant.

Diese Nacht hatte sie nicht geschlafen, demnach also auch nicht geträumt. Normalerweise reiste sie mit einer kleinen Kutsche, die von einem alten Kutscher geführt wurde. Ging die Reise über Nacht, konnte sie darin wunderbar schlafen und kam beinahe erholt in der nächsten Stadt an. Das hatte sie aber verschwiegen, als er sie fragte, ob sie mit auf seinem Pferd reiten würde. Sie suchte jede Gelegenheit, in seiner Nähe zu sein und sie genoss es, mit ihm durch die Nacht zu reiten, von seinen Armen umschlossen.

Eigentlich erschrak sie vor sich selbst. Das alles passte nicht zu ihr. Wo nur waren ihre Prinzipien, an die sie sonst immer festhielt, wie an einem Rettungsanker? Ein kleiner Rest davon war übrig und sie hoffte, dass ihr der nicht auch noch stiften ging. Sie musste an die vier letzten Worte denken, die sie in ihr Büchlein geschrieben hatte: Keuschheit, Schamhaftigkeit, Schweigsamkeit und Demut. Von diesen vier Tugenden war sie derzeit weiter entfernt denn je.
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Amaalia
Es war ein einziges Schlamassel für ihre Verhältnisse. Der Kutscher war in die falsche Richtung gefahren und schickte ihr aus dem tiefsten Österreich einen Boten, der sie in Deggendorf erreichte. Anscheinend hatte sie sich in Linz nicht klar genug ausgedrückt. Für Chris war das alles kein Problem. Er war so wunderbar unkompliziert und besorgte ihr eine schwarze Stute, die sogleich auf den Namen „Desire“ getauft wurde. Amaalia unterdrückte ein leicht ungutes Gefühl. Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf. Ein solch schönes Pferd konnte unmöglich keinen Besitzer gehabt haben und es schien nicht, als hätte er es gekauft. Wem gehörte es? Doch es hatte kein Brandmal und so vertraute sie ihrem Räuber, dass dieses Geschenk auf ehrliche Weise beschafft wurde. Sie war sich aber im Unterbewusstsein sicher, zu naiv zu denken.

So ritten sie nun des Nachts nebeneinander von Deggendorf nach Regensburg. Zuvor hatten sie sich in einem Heuschober ausgeruht, was man ihr auch ansah: Die Haare nur halbherzig gekämmt und zu einem lockeren Knoten zusammengebunden, hier und da hing noch etwas Heu im blonden Haar. Das rote Kleid trug sie nun schon seit Linz. Sie hatte kein anderes dabei. Alles befand sich in der Kutsche.
Doch es war sonderbar, denn es war ihr egal. Sie fühlte sich frei, begehrt und geliebt. Endlich konnte sie sich von allen Zwängen befreien und ein anderes Leben kennenlernen.

Nach zwei Drittel der Reise machte sie schlapp. Es war sehr anstrengend, so lange auf einem Pferd zu reiten und sie war es nicht mehr gewöhnt. Müde ließ sie sich von Chris vom Pferd helfen und wartete fröstelnd, bis er ein Lagerfeuer errichtet und sich zu ihr gesetzt hat. Zum ersten Mal verbrachte sie eine Nacht im Freien. Zuvor hatte sie sich immer darum bemüht, mit möglichst großen Gruppen zu reisen und stets die nächste Stadt zu erreichen. Sie war zu ängstlich. Doch nun keine Spur von Angst. Sie fühlte sich sicher. Chris würde sie mit seinem Leben verteidigen, das hatte er ihr versprochen. Er hielt sie wärmend im Arm und es dauerte nicht lange, bis sie erschöpft einschlief.



Es war ein rauschendes Fest. Elisabeths Hochzeit mit Friedrich von Plassen würde noch lange für Gesprächsstoff sorgen. Amaalias Mutter schien glücklich und zufrieden. Das war nicht oft der Fall, quälte sie sich sonst stets mit selbstauferlegten Zwängen. Sie lachte sogar ausgelassen und schäkerte mit ihrem Mann. Das war sonst nie ihre Art. Elisabeth sah überraschend hübsch aus. Die Kleiderwahl der Mutter erwies sich als Punktlandung. Sie wirkte sehr zufrieden mit sich, denn sie sah es als große Ehre an, mit einem solch mächtigen Mann verheiratet zu werden.
Nur Amaalia war bedrückt. Sie hatte kein gutes Gefühl. Ihre Schwester wurde mit dem schlimmsten Kerl verheiratet, den sie je gesehen hatte. Er war im Alter ihres Vaters, also uralt in ihren Augen. Und die Gerüchte über seine verstorbene Frau ließen sie nichts Gutes ahnen. Doch stand es ihr nicht zu, ihre Bedenken zu äußern. Niemand würde sie ernst nehmen, nicht einmal der Vater, der dank der Ehe große Ländereien von Friedrich erhielt.

Auch Margarethe war auf der Hochzeit. Dies war Amaalias einziger Lichtblick, denn sie freute sich, ihre Schwester nach langer Zeit einmal wieder zu sehen. Auch ihr konnte sie nichts von ihren Bedenken sagen. Margarethe würde sie auslachen und ihr sagen, dass dies eben das Schicksal der Töchter sei, und auch sie sich einmal wird fügen müssen. Amaalia wusste das, doch sie wollte es nicht hören, deshalb schwieg sie. Sie selbst war mit knapp zehn Jahren noch zu jung, um verheiratet zu werden. In anderen Familien war das zwar nichts Ungewöhnliches, doch hatte ihr Vater da zum Glück seine Prinzipien.

Nach den Feierlichkeiten kehrten sie zurück zu heimischen Burg. Amaalias Leben änderte sich schlagartig, denn die Mutter konnte sich nun auf ihre Erziehung konzentrieren. Viel zu spät, wie Mechthild meinte und viel zu früh, wenn es nach dem Mädchen ging. Ihre dicke Amme stand ihr nach wie vor zur Seite, denn niemand wagte, sie zu entlassen. Dennoch wurde sie nun täglich von ihrer Mutter drangsaliert. Sie musste den ganzen Tag nähen, sticken, zeichnen und sich in Schönschrift üben. Außerdem wurde sie darin unterrichtet, sich damenhaft zu bewegen und zu benehmen. Dem Kind war das zuwider. Sie wollte lesen, bei den Pferden spielen und Vaters Falken besuchen. Wann immer sie eine Gelegenheit fand, stahl sie sich davon und stets wurde sie hinterher von der Mutter dafür bestraft. Sie fühlte sich wie eingesperrt, doch je mehr sie rebellierte, um so härter wurden Mechthilds Strafen.

Als Amaalia einmal zu viel hatte, sattelte sie heimlich ihr Pferd und ritt auf und davon. Auf der Burg waren alle aufgeregt, als das Kind nach mehreren Stunden vermisst und nicht gefunden wurde. Alle Kammern, Ecken und Nischen, wo sie sich sonst versteckte, wurden abgesucht. Dann entdeckte einer der Stallburschen, dass Amaalias brauner Zelter fehlte. Der Burgherr war zornig und ungehalten. Er ließ den diensthabenden Wachmann am Tor einsperren, denn er hatte nicht bemerkt, dass das Mädchen weg geritten war. Als der Abend bereits dämmerte, wurde ein Suchtrupp zusammengestellt. Ulrich von Hohentropf führte die Männer an und so ritten sie die nähere Umgebung ab.
Niemand konnte ahnen, wie weit Amaalia es tatsächlich schon geschafft hatte. Sie war dank des Vaters eine geübte Reiterin und ritt an jenem Tag auf einem gewöhnlichen Sattel, den ihr die Mutter längst verboten hatte. Sie ritt so lange, bis sie müde war und auch das Pferd rasten musste. Da befand sie sich in einem Wald, der noch zu den Ländereien ihres Vaters gehörte. Sie stieg vom Pferd und ließ sich am Fuße eines dicken Baumes nieder. Da saß sie mit all ihrer Wut im Bauch über die Mutter und all die Zwänge, die ihr Stand mit sich brachte und die Tatsache, dass man mit ihr als Mädchen so umgehen konnte. All der Aufwand, den Mechthild betrieb war nur deren Wunsch geschuldet, das Mädchen baldmöglichst an einen möglichst reichen und mächtigen Ritter zu verheiraten. Da sie bislang keine Söhne hatte, war dies sozusagen eine Art Daseinsberechtigung. Doch Amaalia litt. Sie wollte nicht enden wie Margarethe. Unglücklich und ungeliebt, neben einem eitlen und dummen Mann. Und sie wollte auch nicht wie Elisabeth leben müssen, mit einem jähzornigen und gewalttätigen alten Ritter.

All die Verzweiflung brach aus ihr heraus. Sie weinte bittere Tränen und schluchzte hemmungslos. Nie zuvor konnte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen, denn immer war auf der Burg jemand in der Nähe. Sie hüllte sich fröstelnd in ihren Umhang und bettete sich in das weiche Moos. Weinend schlief sie ein.


Ein frecher Sonnenstrahl kitzelte Amaalia an der Nase. Sie öffnete die Augen. Der Traum hinterließ eine gewisse Traurigkeit. Sie war sich nicht sicher warum. Langsam wurde sie wacher und erkannte, wo sie sich befand. Ihr war warm, denn sie lag die ganze Nacht umarmt von Chris unter Umhang und Decke. Die Traurigkeit wich plötzlich und sie fühlte sich ausgefüllt von Glück. Noch einmal schloss sie die Augen, um den Moment zu genießen. Dabei döste sie wieder ein und sah sich selbst vor ihrem inneren Auge auf einem braunen Pferd reiten. Sie wusste, es war ihr Pferd. Ihr Pferd? Die Verwirrung zwang sie nun doch endgültig, die Augen zu öffnen. In der Nähe standen die beiden Pferde angebunden. Vorsichtig löste sich Amaalia von Chris Armen und stand auf. Sie ging auf die schwarze Desire zu und reichte ihr einen Apfel, den diese sofort aß. Sie streichelte ihren Hals und flüsterte ihr zu „Du bist nicht mein erstes Pferd“. Auch der Hengst bekam einen Apfel. Dann folgte sie dem leisen plätschernden Geräusch eines Bächleins, das ganz in der Nähe sein musste. Dort wusch sie sich mit dem eiskalten Wasser und fuhr sich etwas durch die Haare. Das musste für heute reichen. Morgen wäre man in Regensburg und sie würde sich ein ausgiebiges Bad gönnen, so viel stand fest.
Einigermaßen hergerichtet kam sie zurück zu ihrem Lager und setzte sich an das erloschene Lagerfeuer. Sie vertrieb sich die Zeit damit, Annas Briefe noch einmal zu lesen. Und begann einen Brief zu schreiben, den sie in Regensburg abschicken würde.
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Amaalia
Amaalia war in Regensburg und war ein bisschen enttäuscht. Sie hatte sich viel mehr von ihrer alten Heimat versprochen. Viele alte Freunde lebten hier, es warteten also auch viele Erinnerungen auf sie. Doch bisher traf sie nur Arte für wenige Minuten. Wenigstens hatte sie in deren Gasthaus einmal wieder die Möglichkeit, sich ordentlich herzurichten. Ein heißer Zuber, duftende Seife und ein Kamm wirkten Wunder. Sie war zwar längst nicht mehr so eitel wie noch vor kurzem. Ihr Ego aber verlangte danach.

Später nutzte sie die Ruhe, um viele Briefe in alle Himmelsrichtungen abzuschicken. Als es nichts mehr zu schreiben gab, nahm sie ihr kleines Büchlein und ging damit zum See. Dort setzte sie sich ins Gras und blätterte durch die Seiten. Viel hatte sie noch nicht festhalten können. Nur in ihrem Unterbewusstsein wuchs eine Idee heran, was in ihrer Vergangenheit geschehen war. Es fehlte lediglich eine Art Anker, an dem sie sich festhalten konnte, um die Idee ins Gedächtnis zu ziehen.

So saß sie am See und dachte über alles nach. Über die Vergangenheit, vor allem aber über das, was die Zukunft für sie bereithalten würde. Ein glückliches Lächeln umspielte ihren Mund. Sie fühlte sich zufrieden.
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--Majolus
Majolus war sich eigentlich immer sicher, es gäbe keine Zufälle, doch seit dem heutigen Tag hatte er Zweifel.
Eigentlich war er nach Regensburg gefahren, um Mais und Weizen für seinen Herrn zu kaufen und dann das.
Nachdem er erfolgreich am Markt verhandelt und mehrere gute Geschäfte abgeschlossen hatte, ging er zum See, um sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Ja, diese Ruhe hatte er sich redlich verdient und sein Herr würde zufrieden mit ihm sein, wenn er ihm erzählen würde, dass er weit weniger ausgegeben hatte, als vorher kalkuliert war.
Und dann kam sie. Er hatte das Bild in seiner Tasche unzählige Male angeschaut, doch jetzt, als er sie sah, war er wie erstarrt. Er wusste sofort, sie war es. Das helle blonde lange Haar, die weiße glatte Haut und die hohen Wangenknochen.
Plötzlich waren alle seine Geschäfte unwichtig geworden. Er wusste, wenn er sie seinem Herrn bringen würde, würde er reich belohnt werden.
Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Sein Pferd stand nicht weit entfernt. Er tastete nach seinem Messer, welches er stets in der Innenseite seines schwarzen Mantels trug.
Es dämmert bereits, und außer ein paar einsamen Spaziergängern und einem Liebespärchen waren keine Menschen am Seeufer zu sehen.
Jetzt oder nie dachte Majolus. Seine Hand lag auf dem Griff des Dolches und er näherte sich der am Ufer sitzenden Frau.
Schnell blickte er sich noch einmal um. Niemand beachtete ihn und auch die Blonde schien ihn nicht zu bemerken, denn sie starrte scheinbar in Gedanken versunken auf den See.
Lautlos trat er rücklings an sie heran, ging langsam in die Knie und drückte ihr die Spitze seines Dolches in die Seite.
Dann flüsterte er ihr ins Ohr:

Guten Abend meine kleine Amaalia Henrietta. Wenn du jetzt schreist, bist du tot. Wenn du dich wehrst, bist du tot. Du bist überhaupt mausetot, wenn du nicht das machst, was ich von dir verlange.
Du stehst jetzt ganz langsam auf, hakst dich bei mir ein und gehst ein kleines Stückchen mit mir.
Nicke bitte einmal mit dem Kopf, wenn du mich verstanden hast.
Ich denke, du kannst dir die Konsequenzen vorstellen, wenn du nicht nickst, oder? Sie gleichen denen, die ich schon erwähnte.


Majolus lächelte...
Amaalia
Das Lächeln wich purem Entsetzen, als sie die spitze Klinge an ihrer Seite spürte. Ein Kerl flüsterte in ihr Ohr. Ihr war schleierhaft, wo er plötzlich herkam. Was wollte er von ihr? Und woher zum Donner kannte er den Namen aus ihrem Traum? Tausend Dinge schossen ihr durch den Kopf doch alles verwarf sie sogleich wieder. Er klang nicht, als würde er Spaß machen oder mit sich verhandeln lassen. Es war auch niemand in der Nähe, der ihr hätte helfen können. Also tat sie, was er von ihr verlangte und nickte. Dann stand sie langsam auf und hakte sich bei ihm ein. Der Kerl stank bestialisch, als hätte er sich seit Jahren nicht gewaschen und ihr wurde übel.
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--Majolus
Majolus merkte, wie es ihr widerstrebte, ihm zu folgen, aber schließlich kam sie seiner Aufforderung nach und hakte sich bei ihm unter.
Mit dem anderem Arm hielt er weiterhin das Messer in ihre Seite gedrückt, bereit zuzustoßen, falls sie Dummheiten machen sollte.
Er führte sie vom See weg in Richtung Stadt. Lange würde es nicht dauern und sie würden sein Pferd erreichen. Wenn sie außerhalb der Stadt wären, würde sein Vorhaben einfacher werden, aber noch musste er sich vorsehen, um keine Aufmerksamkeit zu erwecken.
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